Dr. K. H. Schmidt                                                                           Idstein,März 2007

 

KIRCHENFÜHRUNG  

 

GESPRÄCHSPUNKTE   FÜR  EINE

 KIRCHENFÜHRUNG  IN  DER  UNIONSKIRCHE

 

ZU IDSTEIN

 

am  Tag des  offenen  Denkmals  2007

 

 

Der Tag des „Offenen Denkmals“ am 9. 9. 2007 steht unter dem Motto:

„Orte der Einkehr und des Gebets - Historische Sakralbauten“.

Das Landesamt für Denkmalpflege Hessen hat als Erläuterung zu dieser Themenstellung geschrieben:

„Kirchen, Klöster und Synagogen waren schon immer historische Zeugnisse der menschlichen Suche nach innnerer Erkenntnis und gleichzeitig Ausdruck unserer Kultur.“

 

Unsere Unionskirche ist zur Exemplifizierung dieser Themenstellung hervorragend geeignet.  Für sie können wir die genannte Erläuterung ganz konkret fassen und sagen:

Die Unionskirche ist ein Zeugnis der Suche nach G o t t,

                                                   nach  d e m  r e c h t e n   G l a u b e n,

                                                   nach  d e r  r e c h t e n   G o t t e s v e re h r u n g,

und in dieser Dreiheit ist sie auch ein Ausdruck unserer Kultur, die sich in unserer Heimat ganz wesentlich in den vorhandenen - noch vorhandenen - Kirchenbauten ausdrückt.

 

Es erscheint mir sehr kennzeichnend für die Situation unserer Gesellschaft in der heutigen Zeit zu sein, daß das Landesamt für Denkmalpflege mit der genannten Themenstellung so ausdrücklich und auch so eindringlich an den spirituellen und kulturellen Stellenwert unserer Kirchen erinnert.

Dabei ist das Anliegen des Denkmalamtes primär wohl ein ganz eigennütziges : Es will die Anzahl der„Betreuungsfälle“ nicht ansteigen lassen.

„Betreuungsfälle“ ergeben sich für das Landesamt immer da, wo die Kirchengemeinde zu schwach ist oder im Extremfall gar keine Kirchengemeinde mehr vorhanden ist, die  die Pflege und Sorge für das Kulturgut Kirche übernehmen kann.

 

Daneben ist in dem Motto des diesjährigen Denkmaltages aber auch die Aufforderung nicht zu übersehen, über die geistigen - geistlichen Grundlagen unserer kirchlichen  Denkmäler nachzudenken. Diese Aufforderung mag in der gegenwärtigen Situation, wo lasch gewordene christliche Restgemeinden einem glaubensintensiven Islam hautnah gegenüber stehen, sogar ein wenig provozierend gemeint sein.

Wer Prof.Kiesow kennt, kann ihm diesen ernsten Anstoß zur Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln durchaus zutrauen. Denn in der in Zukunft mit dem Islam noch intensiver zu führenden Diskussion gilt - wie in jeder Diskussion - daß man vom eigenen Herkommen und Standpunkt eine ganze Menge wissen muß, wenn man nicht zum bloßen willenlosen Empfänger fremder Einflüsterungen werden will.

 

Und damit sind wir beim  T h e m a  K i r c h e n f ü h r u n g.

Ich will und kann Ihnen nicht vorschreiben, wie Sie Ihre Kirchenführung aufbauen und gestalten. Ich will Ihnen aber zu der schon genannten dreifachen Gestalt, unter der die Unionskirche  vorgestellt werden kann,einige  G e s p r ä c h s p u n k te  anbieten. Dabei sind Abschweifungen zur Erläuterung und zum Verständnis des Hauptthemas zuweilen notwendig.

 

Und weil die Darstellung der Idsteiner Geschichte, leider auch die in Veröffentlichungen der Idsteiner ev. Kirchengemeinde, sich bis in die jüngste Zeit hinein vorwiegend mit dem Abschreiben alter und oft fehlerhafter Überlieferungen begnügte, will ich auch einige Korrekturen an den zum Teil immer noch weiter erzählten Histörchen anbringen.

Bei vielen Angaben zur Kirche stütze ich mich auf die bisher umfassendste und gründlichste Darstellung der Kirche und des Stifts durch Wolf-Heino Struck in „Germania Sacra“, 1990.

 

 

 

 

ErsterThemenkreis:  Die Unionskirche ist einZeugnis der Suche nach Gott.

 

W i e s o  ?

Weil ihr eine theologische Konzeption zugrunde liegt, die sie wesentlich durch den Umbau, den Graf Johannes ab 1669 vornehmen ließ, erhalten hat.

 

Dazu  G e s p r ä c h s p u n k t e .

 

1. Die Unionskirche ist ehemals eine katholische Kirche gewesen !

JA  und NEIN.  Natürlich ist jede Mauer,die vor der Reformation gebaut worden ist, ehedem „katholisch“ gewesen, was denn sonst !

In dieser Kirche sind das aber nur noch der Grundriß mit den Außenmauern (außer der Westwand !), die aus der Zeit vor der Reformation stammen.

     Und der Turm ?

Der wird mit seinem Untergeschoß in die romanische Zeit datiert (rom. Fenster über der Turmtür auf der Nordseite ). Er war vermutlich schon Teil des Vorgängerbaues der alten Stiftskirche.

 

Entgegen den geläufigen Angaben, nicht nur in Kirchenführern sondern auch bei Struck (S.411), ist der Turm  in 1714  n i c h t  um 4,24 m erhöht worden. Der Fehler entstand durch die Interpretation eines Kostenvoranschlags als Ausführungsrechnung.

 

 

2. War die alte Stiftskirche St. Martin die erste Kirche in Idstein ?

Sie selbst war es sicherlich nicht. Aber in ihr steckte der vermutlich romanische Vorgängerbau, in welchem Ausmaß ist ungewiß. Über das Aussehen des rom. Vorgängerbaus haben wir keine Kenntnis.

 

Das Aussehen der Stiftskirche ist uns in einem Stich von 1605 (Dilich, Meißner, Merian) überliefert und kann aus dem Baubefund der jetzigen Unionskirche in einigen Teilen rekonstruiert werden.

 

Für die in alten Kirchenführern geäußerte Meinung, die Kapelle „S. Mariae vor dem Himmelthor“ sei die erste Kirche in Idstein gewesen, gibt es keinerlei Beleg.

Der erste urkundliche Beleg zur „Himmelkirch“ stammt von 1496, als Graf Philipp (1450- 1509)  der Kapelle eine ewige Messe stiftete. Vermutlich geschah die Stiftung  anläßlich der Gründung oder der Einweihung der Kapelle. Graf Philipp hat 1497 das Torbogengebäude (heute „Kanzleitor“) errichten lassen und er hat am Ostende des südlichen Seitenschiffs, in der heutigen Sakristei, die Sebastianskapelle mit dem schönen gotischen Gewölbe einrichten lassen. Der Schlußstein des Gewölbes trägt sein Wappen, seinen Namen und die Jahreszahl 1509 , das Jahr in dem er starb.

 

3. Seit wann hatte Idstein eine eigene Pfarrei ?

Von der Frage nach einer ersten Kirche ist  zu trennen, die Frage nach der ersten Pfarrei.

Ein Kirchengebäude in einem Ort ist noch kein Anzeichen dafür, daß der Ort auch eine eigene Pfarrei besitzt, d. h. daß ein Pfarrer oder Geistlicher dort wohnt,der die Messe lesen darf und der Vollmacht hat zu allen kirchlichen Amtshandlungen wie Taufen, Hochzeiten, usw., und - ganz wichtig - , daß die Kirche das Begräbnisrecht am Ort hat.

 

Die Frage, seit wann es eine Pfarrei Idstein gibt, ist eine schwierige Frage und sie ist in der Forschung noch immer ungelöst.

In der Nachbarschaft von Idstein ist für Wörsdorf schon 1235 eine eigene Pfarrei urkundlich nachweisbar. Die Kirche in dem vielzitierten Wolfsbach war noch älter und bestand vermutlich seit der Mitte des 12. Jahrhunderts. Sie hatte zumindest Begräbnisrecht.

Eine mit allen kirchlichen Vollmachten ausgestattete Pfarrei Idstein ist erstmals mit einer Urkunde vom 3. 12. 1300 nachweisbar. In ihr wird der Pastor Marquard von Idstein als Zeuge genannt.

 

4. Wie kommt es zu dem Namensteil  „Himmel“ in  „Himmelkirch“ oder        „Himmelsgasse“?

Der Namensteil hat keine theologische Bedeutung sondern ist abgeleitet von dem „auf dem Berg“ liegenden Drittel der alten Idsteiner Feldflur der ehemaligen „Drei-Felder-Wirtschaft“, das ursprünglich in mittelhochdeutsch „Hemele“-Feld hieß.

„Hemele“bedeutet soviel wie Berg, Hang, abgebrochener Fels und  verweist auf die wohl schwierigen Bodenverhältnisse auf dem heute „Gänsberg“ genannten Hang.

Durch das „Hemele“ - „Himmel“ - Tor gingen die Idsteiner Landwirte, und dazumal war jeder Einwohner ein Landwirt, zum „Hemele“-“Himmel“ - Feld. So wie sie durch das „Roder-Tor“ zum „Roderfeld“ (heute Nassau-Viertel) oder das „Ober-Tor“ zum „Oberfeld“ (an der Straße nach Seelbach) gingen.

 

 

5. Wie und wann begann das „Stift St. Martin“ in Idstein ?

Der kirchenrechtlich genau zu datierende Anfang des Stifts ist festgelegt durch die Urkunde des Erzbischofs Balduin von Trier (des Bruders von Kaiser Heinrich VII.) vom 25. August 1340 an den Grafen Gerlach zu Nassau - Idstein.

Graf Gerlach, der Sohn des in der Schlacht bei Göllheim am 2. Juli 1298 gefallenen deutschen Königs Adolf, Graf zu Nassau, war ursprünglich für die geistliche Laufbahn vorgesehen. Diese hatte er aber aufgeben müssen, als sein Bruder Rupert, der die Linie fortführen sollte,1304 ohne Erben starb. Um die Walramische Linie  Idstein-Wiesbaden fortzuführen,  hat Gerlach Anfang 1307 mit päpstlichem Dispens die Tochter Agnes des Landgrafen Heinrich von Hessen geheiratet. Agnes war eine Urenkelin der Heiligen Elisabeth.

Im Herbst 1327 war Gerlach vermutlich persönlich in Avignon bei Papst Johannes dem XXII. (jetzt hatten wir gerade Woytila = Johannes XXIII. !), um die Legitimität seiner Kinder anerkennen zu lassen. Bei dieser Gelegenheit hat er offenbar auch die beabsichtigte Gründung eines Stifts und besonders die Einbeziehung der Pfarrei  Niederlahnstein in das Stift vorgetragen.

Der Papst reagierte unmittelbar am 17. 1. 1328, indem er den  Eb. Balduin von Trier damit beauftragte, zu prüfen, ob die wirtschaftlichen Grundlagen für eine Stiftsgründung gegeben wären. Die Prüfung ergab, daß Gerlach 1333 und 1336 Geld nachschießen mußte, damit von den Zinsen des Stiftungskapitals der Unterhalt von 5 Priestern in Idstein und einem in Niederlahnstein im  „Kollegiatstift zu Ehren Gottes, derGottesmutter Maria und des hl. Martin“ gesichert war.

 

Die Stiftsgeistlichen wohnten - als sogenannte regulierte Kanoniker - nicht in einer Klausur (wie es die Augustiner - Chorherren tun) sondern in eigenen Häusern. Über ihre Lage ist nichts genaues bekannt.

Die schaurig-schöne Erzählung von dem unterirdischen  Gang von der Klausur in der Obergasse bis hin zur Kirche ist also auch bloße Erfindung.

 

Die gern erzählte und auch immer wieder in Kirchenführer hineingeschriebene Geschichte von der Waldenser-Bewegung unter den Stiftsherren, die dann allesamt verbrannt worden sein sollen, hat sich nicht in Idstein ereignet und es ist fraglich, ob sie sich überhaupt irgendwo in dieser Form ereignet hat. Das hat Max Ziemer schon vor ca. 85 Jahren nachgewiesen, aber ohne Erfolg.

 

 

6. Wie und wann endete das „Stift St. Martin“ in Idstein.

Graf Philipp der Altherr (*1490, reg. 1511 - 1566, ein Onkel des vorher genannten Philipp) hielt sich gegenüber der reformatorischen Bewegung vorsichtig zurück, obwohl sich an den Grenzen seiner Grafschaft, z. B. in der Grafschaft Katzenellnbogen, die zu den Besitzungen Philipps des Großmütigen von Hessen gehörte, und in den nassauisch-weilburgischen Landen ( Amt Burgschwalbach und Grafschaft Usingen) unter Graf Philipp III. die Reformnation seit 1525 ausbreitete.

An einzelnen Verwaltungshandlungen der gräflichen Regierung aber auch des Stifts,ist das langsame Absterben des Stifts als einer selbständigen, vom Grafen in gewisser Weise unabhängigen Institution zu erkennen. So  läßt sich das Stift 1529 vom Grafen und nicht vom geistlichen Gericht des Bischofs bei der Eintreibung ausstehender Zinsen helfen. 1534 setzt der Graf einen Stiftsdekan ein ohne vorherige Wahl des Stiftskapitels und ohne die Bestätigung des Eb. von Trier einzuholen. 1542 besetzt der Graf die Wörsdorfer Pfarrstelle ohne vorher die Zustimmung  des Stifts  Bleidenstadt, das hier das „Patronatsrecht“ hatte, einzuholen.

Am 20. 12. 1542 erließ die Idsteiner gräfliche Regierung Grundsätze für die Gestaltung des Kirchenwesens im Oberamt, in denen der reformatorische Einfluß unverkennbar ist, die Konfrontation mit der alten Kirche aber auch nicht gesucht wurde.  Es sollten die Pfarrer die Kirchenzeremonien ordentlich halten, aber auch nichts dem göttlichen Wort zuwider tun.

Der Schmalkaldische Krieg und das sog. „Augsburger Interim“ Kaiser Karls V. von 1548, das bestimmte, daß der Kaiser im Vorgriff auf die Regelungen, die ein noch einzuberufendes allgemeines Konzil zu entscheiden hatte, strittige Religionssachen durch seine Anordnung jetzt schon ordnen konnte, bewogen den Grafen Philipp, auch weiterhin vorsichtig zu taktieren.

Seinem persönlichen Kaplan, dem Matthias Becker aus Aachen (er blieb in Idstein bis Dez. 1552), schrieb Philipp jedoch 1549 in die Bestallungsurkunde,  daß er nicht nur im Schloß sondern auch in der Stiftskirche an Sonn- und Feiertagen predigen soll und zwar so, daß seine Predigt einerseits nicht gegen das Interim verstößt, andererseits aber der „Seelen Seligkeit dient“. Dazu gehört, daß er  z. B. das Altarsakrament in beiderlei Gestalt reicht, aber nicht Weihwasser, Salz,  Feuer, Würzwische,  Palmen  Oster- und sonstige Kerzen segnet.

 

Die in früheren Kirchenführern enthaltene Angabe, 1546 habe Martinus aus Ulm  die erste lutherische Predigt in Idstein gehalten, und der an der Stirnwand des südlichen  Seitenschiffs knieende Graf Adolf sei deshalb als der Reformator Idsteins anzusehen, beruht auf einer unrichtigen Interpretation  der damals gegebenen Zuständigkeiten :

Graf Adolf hatte im April 1543 eine evangelische Frau, die Gräfin Franzisca von Lützelburg (im Elsaß) geheiratet, die für sich einen evangelischen Kaplan haben wollte .Der daraufhin berufene Martinus aus Ulm hat 1544 nur im Schloß vor der Gräfin gepredigt, aber nicht vor den Idsteinern. Ihr Mann, Graf Adolf, starb 1556 ohne zur Regierung gekommen zu sein. Franzisca zog daraufhin  wieder zurück nach Lützelburg. Die Predigten ihres Kaplans waren für die religionsgeschichtliche Entwicklung  Idsteins und der Grafschaft ohne Folgen.

 

Durch die Veränderung der politischen Gewichte im Deutschen Reich zugunsten der protestantischen Partei , sichtbar in der Aufhebung des Interims (im Passauer Vertrag vom 2. 8. 1552), wagte auch Philipp den ersten deutlichen Schritt zur Durchsetzung der Reformation. Er berief den Pfarrer Nikolaus Gompe (geb. in Rauenthal im Rheingau), einen Anhänger Luthers, zum Prediger an der Stiftskirche. Gompe entwarf sogleich eine evangelische Kirchenordnung und legte sie am 29. Juni 1553 dem noch amtierenden Stadtpfarrer und Kanoniker des St. Martin-Stifts, Christian Fuln, als Grundlage für eine einvernehmliche Zusammenarbeit vor. Fuln wollte aber bei den hergebrachten Riten und Formen bleiben und lehnte deshalb die neue Ordnung ab. Daraufhin wurde er vom Grafen vom  Amt des Stadtpfarrers entbunden und durch den lutherischen Pfarrer Anton Weber ersetzt.

Damit endete im Juni 1553 der katholische Gottesdienst in der Stiftskirche, und die Reformation hatte ganz allmählich und ohne gewaltsame Umwälzungen in Idstein Einzug gehalten.

Das rechtliche Ende des St. Martin-Stifts kam wenig später am 20.Juli 1553. Da übernahm eine Kommission aus gräflichen Beamten die Vermögenswerte des Stifts,um sie in einen Vermögensfonds zu überführen, aus dem weiterhin kirchliche, schulische und wohltätige Zwecke finanziert wurden - und der  unter dem  Namen „Nassauischer Zentralstudienfonds“ heute noch besteht.

 

 

7. Wie war die geistig - religiöse Situation vor dem Umbau der alten Stiftskirche ?

Auf die wirtschaftliche Situation Idsteins nach dem Dreißigjährigen Krieg braucht hier nicht eingegangen zu werden. Sie ist gekennzeichnet durch einen Bevölkerungsverlust, damit einhergehend einen Leerstand und Verfall der Bausubstanz, und ebenfalls damit verbunden, eine Verwahrlosung und  Minderung der bebauten Feldflur.

 

Es ist aber erstaunlich, und erinnert in gewisser Weise an das sog. „Wirtschaftswunder“  nach dem 2. Weltkrieg, in welch kurzer Zeit die Steuerkraft des Landes sich wieder erholt hat, nachdem die wieder installierte gräfliche Verwaltung mit der Aufsicht über Recht und Gesetz die Rahmenbedingungen geschaffen hatte für eine erfolgreiche, (vom Egoismus getriebene) wirtschaftliche Betätigung der Bürger.

 

Überden sittlich - moralischen Zustand der Bürger, gibt es Klagen der Pfarrerschaft- aber die beklagen sich in diesem Punkt immer.

 

In der Politik, im Verhältnis zu den benachbarten „Fürstentümern und Gewalten“,hatte der Westfälische Friede die „Gegenreformation“, soweit man darunter den Versuch der forcierten Veränderung der Herrschaftsgebiete der Reformation versteht, beendet. Die Konfessionsgrenzen blieben seitdem im ganzen unverändert. Die Politik wurde wieder von politischen Gesichtspunkten bestimmt, kirchliche Gesichtspunkte spielten dagegen nur noch als „Mäntelchen“ eine Rolle.

 

Im Verhältnis der Konfessionen untereinander, besonders im Verhältnis von Katholiken und Lutheranern, war die Zeit voll von Unionsüberlegungen. Als deren Basis wurde vielfach die „Confessio Augustana“, also das lutherische Religionsbekenntnis vom Reichstag zu Augsburg 1555 verhandelt.  Das geistliche Klima der Zeit kann deutlich gemacht werden anhand des „Reunionsplanes“, dessen Urheber Mainz und dessen Erzbischof Philipp von Schönborn, gewesen sein soll. Darin wurde z. B.vorgeschlagen, die Evangelischen sollten künftig als „reformierte Katholiken“ bezeichnet werden und der Papst sollte ihnen eine besondere Kirche zubilligen.

In dieser Atmosphäre der Bereitschaft zur Änderung, die zumindest in den Kreisen der gebildeten Gesellschaft vorhanden war, die die Religionsspaltung beklagten und nach einer gemeinsamen Basis suchten, kam es zu zahlreichen Konfessionswechseln :

 

1654 dankte Königin Christine von Schweden, die Tochter Gustav Adophs, des „Retters des Protestantismus“, ab, zog nach Rom und trat im Folgejahr zum Katholizismus über.

Zuvor schon hatte am 6. 1. 1652 der Nachbar Idsteins, der Landgraf Ernst von Hessen -Rheinfels, Enkel des Landgrafen Philipp des Großmütigen, der in Hessen die Reformation eingeführt hatte,  Landesherrüber die hessische  Grafschaft Katzenelnbogen, die Konfession gewechselt und war vom reformierten zum katholischen Bekenntnis übergetreten.

 

Und dann teilte Gustav Adolph (* Weilburg, 14. 2. 1632, + gefallen Schlacht von St.Gotthard 1. 8. 1664), der älteste Sohn des Grafen Johannes, dem Vater am 19.Sept. 1653 brieflich mit,  daß auch er die Religion gewechselt hat ! Das war für den Vater ein Ereignis, das seine Seelenlage ganz bedeutend erschüttert hat, er ist in den darauffolgenden Briefen förmlich explodiert. 

 

In der Idsteiner Lokal-Geschichtsschreibung ist der Religionswechsel des Sohnes in Verbindung gebracht worden mit einer Charakterveränderung des Grafen, letztlich bis hin zu der Hexenverfolgung. Das sind aber durch nichts zu beweisende Spekulationen, die mit dem späteren, relativ erträglichen Verhältnis des Vaters zu seinem Sohn in keiner Weise übereinstimmen.

 

Die ebenfalls oft vorgetragene Behauptung, der Graf habe seinen Sohn enterben müssen, damit die Grafschaft im Erbfall nicht katholisch  werde, beachtet nicht die neuen Regelungen über Konfessionsstand und Konfessionswechsel, die der Westfälische Friede, der ein Reichsgesetz war, festgelegt hatte.

Es galt eben nicht mehr unbeschränkt die Regelung des Augsburger Religionsfriedens von 1555 die mit der griffigen Formulierung: „cuius regio eius religio“ beschrieben wird, sondern es waren differenzierende Regelungen in Osnabrück gefunden worden. Die hätten es verhindert, daß die Bewohner der Grafschaft Idstein katholisch hätten werden müssen, wenn denn der katholische Gustav Adolph seinem Vater in der Regierung gefolgt wäre.

Daß schon der Graf Johannes nicht mehr auf einem einheitlichen Konfessionsstand in seiner Grafschaft bestanden  hat und auch nicht bestehen konnte, zeigt die Ansiedlung der katholischen Wallonen aus der Lütticher Gegend in Engenhahn, Königshofen, Niedernhausen, die alle katholisch bleiben durften.

 

Dazu kommt noch etwas anderes, was die Lokalgeschichtschreibung auch nicht berücksichtigt: Der katholische Gustav Adolph wäre, wenn denn der Erbfall eingetreten wäre, nur Herr über einen kleinen Teil der Grafschaft geworden. Da im Hause Nassau (wie bei seinen bäuerlichen Einwohnern auch) im Erbfall „Realteilung“ erfolgte, hätte er mit seinen Brüdern die Grafschaft teilen müssen.

 

Jedenfalls kann der Konfessionswechsel des Gustav Adolph bei dem Grafen Johannes dazu beigetragen haben, daß Johannes sich Gedanken um die Gemeinsamkeiten der beiden Konfessionen machte und diese Überlegungen in seinen Kirchenbau mit einflossen.

 

 

8. Was ist denn nun das Hauptkennzeichen des Johanne’ischen Umbaus,  wodurch wird denn nun die Kirche zu einem Zeugnis der Suche nach  Gott ?

 

Eine Antwort in einem Satz: Durch den Rückbau der Hallenkirche in eine Basilika !

Dieser Satz muß den Besuchern aber illustriert und erläutert werden: 

 

Beginnen Sie  doch die Kirchenführung auf dem Löherplatz und zeigen Sie den Besuchern das Drei - Dächer - Schema der „Unionskirche“ mit dem hohen Mittelschiff und den zwei niedrigeren Seitenschiffen. Diese Bauform ist unter der Bezeichnung „Basilika“ bekannt und gilt als die Urform des Kirchenbaus der ersten Christen, also der Zeit, als es weder katholische noch evangelische Gläubige gab sondern nur Christen, die keine Konfessionsstreitigkeiten kannten. So war jedenfalls die idealisierte Vorstellung über die Anfänge der Christenheit.

 

Nach nahezu mehr als 150 Jahren Religionsstreit und mindestens einem mörderischen Krieg konnte das allgemeine und des Grafen persönliches Verlangen nach einem Neuanfang sozusagen „ab ovo“, oder „von der Wurzel aus“, keinen bessseren Ausdruck finden als mit einem Kirchenbau, der an den ungeteilten Anfang des Christentums gemahnt.

Ich glaube sogar, aber das müßte ein Religionsgeschichtler prüfen, dem Johannes schwebte ein Kirchenbau vor, in dessen Mauern nichts sein sollte, was die andere Konfession verstören könnte und in der deshalb Angehörige der beiden maßgeblichen Konfessionen (Katholiken und Lutheraner) ohne Verletzung ihrer bisher geübten Vorstellungen gemeinsam Gott hätten anbeten können.(Analogbeispiel: Der Große Kurfürst strich 1666 den Lutheranern ihre Polemik gegen Katholiken und Calvinisten aus der Agenda und setzte einToleranzverhalten durch - das Paul Gerhard nicht annehmen wollte und deshalb vom Amt entsetzt wurde.)

 

Daß der Graf Johannes überhaupt einen Kirchenbau angefangen hat, hatte natürlich auch ganz „weltliche“ Beweggründe. Er wäre kein Mensch des Barock gewesen, wenn er nicht eine Kirche hätte haben wollen, die er vorzeigen konnte, mit der er „protzen“ konnte, in der er sein Kunstverständnis demonstrieren konnte und die - ganz wichtig - für seinen Nachruhm sorgen sollte.

Das ist ihm ja auch (beinahe ganz) gelungen. Die „Gästeführerinnen“ leben von dem künstlerischen Aspekt seines Kirchenbaus und die meisten Besucher sind mit der Präsentation und Erklärung der zu sehenden Kunstschätze auch zufrieden.

 

Daß darüber hinaus die Unionskirche und hier besonders das Kirchenschiff aufgrund seiner Geschichte und gebauten Konzeption das intellektuell anspruchsvollste Gebäude in Idstein ist, wird nur wenige Besucher interessieren. Auf deren Fragen sollten die Gästeführerinnen aber vorbereitet sein und deshalb sitzen wir zusammen.

 

 

Meine Behauptung, die eigentlich entscheidende und von anderen Kirchenbauten unterscheidende Tat sei der Rückbau der Hallen - Stifts - Kirche in eine Basilika gewesen, muß mit noch etwas Kunstgeschichte belegt werden.

 

Die mit der Reformation entstandenen evangelischen Gemeinden begnügten sich für ihren Gottesdienst weitgehend mit den überkommenen mittelalterlichen Kirchen.

Sie wurden erst allmählich im 16.und 17 Jh. den geänderten liturgischen Ansprüchen angepaßt indem Emporen eingebaut, die Kanzeln eventuell umgestellt und die mittelalterlichen Altäre z. T. entfernt wurden.

 

Als  d e r  maßgebliche Typ der evangelischen „Predigtkirche“ gilt die von Luther1547 eingeweihte Schloßkirche in Torgau. Ihr Kennzeichen: Ein rechteckiger Raum, der an drei Seiten von Emporen mit den Sitzplätzen für die Besucher begrenzt wird, und an dessen einer Schmalseite, praktisch also an dessen Stirnseite, Orgel,  Kanzel, und  Altar, möglichst auch noch Taufstein in einer fallenden Linie untereinander stehen.

Nach diesem Schema wurden im sächsisch-thüringischen Bereich die Schloßkirchen von Schmalkalden und Augustusburg gebaut. Das Schema wurde auch häufig in Stadt- und Landkirchen nachgebaut.

 

In den stein - gewölbten Kirchen von Torgau und in Augustusburg waren die Emporen in den niedrigeren Seitenschiffen untergebracht, so daß diese Kirchen korrekt als „Emporenbasiliken“ bezeichnet werden.

 

Spuren des Torgauer Schemas der  Anordnung von Kanzel und  Altar finden sich in vielen Kirchen bis in die Neuzeit.

 

Der 30jährige Krieg unterbrach diese Entwicklung und in der nachfolgenden, wirtschaftlich schwierigen Zeit kam es auch nur zu wenigen Neubauten von Kirchen.

 

Idstein mit seinem Umbau der alten Stiftskirche, der fast einem Neubau gleich kam, ist in Hessen tatsächlich der erste größere Kirchenbau nach dem Krieg. Wie der kleine (an Wuchs kleine) Graf mit seinen begrenzten Mitteln dieses Unternehmen in Gang gebracht hat, verdient alle Achtung.

 

Die zeitlich folgenden größeren Kirchenbauten wie die Katharinenkirche in Frankfurt oder die Karlskirche in Kassel wurden erst 10 bzw. 30 Jahre nach Idstein begonnen.

Es gibt in Hessen eine Handvoll kleinerer Kirchen, von denen die eine oder andere ebenfalls so früh gebaut worden ist, wie in Idstein. Aber was hat man da gebaut?

 

Man baute vornehmlich zweckmäßig. Und mit den bescheidenen zur Verfügung stehenden Mitteln ergab sich die zu bauende Form dann fast von selbst: Man baute Kirchen-Säle, in denen der Prediger seine Gemeinde im Blick hatte und umgekehrt, und der Altar für alle sichtbar und erreichbar war.

Als einzige Schmuckformen erlaubte man sich Spitzbogen- oder Rundbogenfenster mit gotischem Maßwerk (Romrod, Krs.Alsfeld, 1664-1690; Leusel, Krs. Alsfeld, 1696 - 1697). Statt kostspieliger Einwölbungen baute man eine Flachdecke mit Stuckmedaillons (Grüningen, Krs.Gießen, 1660 - 69), oder eine Bretterdecke mit perspektivischer Malerei (Groß -Rohrheim, Krs. Bergstr., 1688, Malerei von 1725), oder eine Holztonne (Leusel,Hochweisel, Krs. Friedberg, 1684), oder sogar ein Rippengewölbe aus Holz (Helsen, Krs. Waldeck, 1653 - 1687).

 

Auch da, wo etwas mehr Geld vorhanden war baute man zwar aufwendiger aber dennoch in erster Linie „zweckmäßig“.

So ist die Frankfurter Katharinenkirche vom Typ her ebenfalls eine Saalkirche, die in ihrem Innenausbau ganz auf die Funktion einer Predigtkirche ausgerichtet ist.

In der Außenansicht sieht man Rundbogenfenster, dreibahnig, mit gotischem Fischblasenmaßwerk ! An den Außenmauern sieht man Strebepfeiler ! Zusammen mit dem steilen hohen Dach vermutet man eine gotische Hallenkirche mit steinernem Gewölbe. Aber nichts dergleichen:

Innen ist, d. h. so war es bis 1944, an der Decke ein aus Latten und profilierten Stäben konstruiertes Holzgefüge, das ein spätgotisches Rippengewölbe imitierte, zu sehen und darunter standen - in stilistischer Konkurrenz dazu - Einbauten und Mobiliar, das in seinen Formen und seiner Ausschmückung charakteristisch war für den Barock des ausgehenden 17. Jahrhunderts.

 

Zusammenfassend: Es sind Funktionsbauten, die da gebaut worden sind. Innen sind sie geeignet für den evangelischen Predigtgottesdienst. Von außen sind sie mit Turm und Schiff schön anzusehen und gut gemauert und verputzt.

Aber sie strahlen keine Botschaft aus, sie lassen nicht erkennen, wes Geistes Kind sie sind. Das ist vielleicht aus der Innenausstattung zu erfahren und zu erschließen, wenn man denn hineingeht. Zwischen Innen- und Außen - Ansicht besteht bei diesen Kirchen eine Lücke, weil keine Übereinstimmung zwischen Innen und Außen gegeben ist.

 

Das ist bei der Unionskirche eben nicht der Fall. Bei ihr sind beide Ansichten kongruent, und deshalb hat sie diese Sonderstellung !

 

Die eben beschriebene Sonderstellung der Unionkirche ist  lange  n i c h t erkannt worden, sie wird auch heute von der Kunstgeschichte nicht beachtet. Das liegt aber einfach daran, daß  kein Kunstgeschichtler über die Unionskirche arbeitet, der auch von Theologie und Religionsgeschichte etwas weiß. Es bleibt abzuwarten, was denn der demnächst erscheinende neue Dehio über die Unionskirche schreibt. Richtigstellendes Informationsmaterial haben wir jedenfalls geliefert.

 

Die Ursache für das Nicht-Beachten der Sonderstellung der Unionskirche liegt daran,. daß man die gegenwärtige Erscheinungsform der Kirche für die ursprünglich gebaute Form der alten Stiftskirche gehalten hat und sich mit der   Qualifizierung der Kirche als „gotische Basilika“  gedanklich den Weg zu einem tieferen Verständnis der Kirche selbst versperrt hat.

Daß die Kirche in Wirklichkeit einen Gestaltwandel durchgemacht hat, wurde erstmals in dem Aufsatz in den Nassauischen Annalen 114, 2003, S. 47 ff. , beschrieben.

 

2.Themenkreis : Die Unionskirche ist ein Zeugnis der Suche nach dem rechtenGlauben.

 

Wieso?

Weil in der Unionskirche schon eine Antwort auf die Suche gegeben wird, indem die Hauptstücke des christlichen Glaubens, wie sie im Apostolischen Glaubensbekenntnis genannt werden, im Bild vorgestellt werden.

 

Dazu  G e s p r ä c h s p u n k t e :

 

1.  Wie  ist die  „Bilderdecke“ zu lesen?

„Gekreuzigt ,gestorben und begraben“, „auferstanden von den Toten“, „aufgefahren in den Himmel“  - diese für den christlichenGlauben unverzichtbaren Glaubenswahrheiten sind in den Bildern in der Mittelspalte in der Kirche präsent als die Bilder der  „Kreuzaufrichtung“, der „Kreuzabhnahme“, der„Auferstehung“ und der „Himmelfahrt“.

Sie sind zudem durch die - horizontal zu sehende - sinnvolle Zusammenstellung mit weiteren Bildern der neutestamentlichen Ereignisse so in einen Zusammenhang mit der ganzen christlichen Botschaft gerückt worden, daß sie insgesamt das Gerüst einer Predigt bilden, die eine Antwort auf die Frage nach dem rechten Glauben ist.

 

Der rechte Glaube ist natürlich der an den Jesus Christus (nicht an Wotan und nicht an Allah).

 

 

2.  Gefällt die Bilder - Predigt der Unionskirche heutzutage noch ?

Da habe ich meine Bedenken, denn sie ist für unser heutiges Empfinden etwas zu lehrhaft und gebieterisch - befehlend, und wird daher nicht jedermanns Sache sein.

 

Das sagt aber nichts aus über die seinerzeit beabsichtigte Wirkung der Bilderpredigt.

Es war immerhin die Zeit nach dem großen Krieg mit all den Verwüstungen und Verwilderungen, nicht nur im Land sondern auch an den Leuten.

Um den „Leuten“ wieder  eine Richtschnur für sittlich - verantwortungsvolles Handeln vorzugeben (heute würde man das als„Sozialdisziplinierung“ beschimpfen und verdammen), durfte man wohl schon etwas kräftiger zeichnen und die Bilderpredigt auch mit höchster Ernsthaftigkeit vortragen.

Sie beginnt (am Chor) mit der Verklärung Christi am Berg Tabor, wo Gottes Stimme gehört wurde: „Dies ist mein lieber Sohn, [auf] den sollt ihr hören“ und sie endet [an der Orgel] mit den Worten des Engels „Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre, denn die Zeit seines Gerichts ist gekommen“.

 

3.  Die Entstehungsgeschichte der Bilderdecke.

Wie die Bilderdecke entstanden ist und wie sie „zu lesen“ ist, ist Ihnen bekannt ,das muß hier nicht mehr erörtert werden.

Ich habe dazu vor 20 Jahren einen Aufsatz in den Nassauischen Annalen geschrieben (Nass. Annalen 98, 1987, S. 123 - 142). Sein Inhalt ist -mit Ausnahme einiger fehlerhafter Zitate - heute immer noch gültig.

 

 

3.  Die Kirche ist Zeugnis der Suche nach derrechten  Gottesverehrung.

 

Wieso?

Nach damaliger Auffassung zeigte sich die rechte Gottesverehrung vornehmlich in einer gottgefälligen Lebensweise. Wie eine solche auszusehen hatte, wird in den Sprüchen an den Gestühls - Brüstungen vorgestellt.

 

Dazu  Ge s p r ä c h s p u n k t e :

 

1.  Aufgabe und Zuordnung der angeschriebenen Bibelzitate.

Die Mehrzahl der kunstvoll in Gold auf schwarzem Untergrund angeschriebenen Bibelsprüche ist dem Alten Testament entnommen.

Das Alte Testament wurde als das Buch angesehen, in dem das „Gesetz“ Gottes niedergeschrieben ist, es enthält mithin die Regeln, deren Befolgung zu einem gottgefälligen Leben führen.

 

Dabei ist es aus der damals herrschenden Meinung über die „natürliche“ Rolle von Mann und Frau zu erklären, daß an den Brüstungen der Männerbühnen nur berufsbezogene Sprüche stehen. Sie sind teilweise auch heute noch von beherzigenswerter Aktualität, lesen Sie  z. B. die Sprüche auf dem Stuhl der Gerichtspersonen unter der Orgel.

 

In den Bibelzitaten an den Frauenstühlen werden den Frauen vornehmlich solche Belehrungen erteilt, die einen Bezug zum Beruf oder Amt des Mannes haben.

So entspricht es dem unbestrittenen Rollenverständnis der Frau, wenn den Räte-Frauen, die also mit einem der auf Karriere erpichten Räte verheiratet sind, empfohlen wird, sich in den Haushalt des Mannes hineinzufinden und ihm vorzustehen, denn der Herr Rat war ja immer im Büro !

Den Gerichts-Frauen wird z. B. sittliche Lebensführung angemahnt, denn der Ehemann hätte ja seine Reputation als Gerichtsschöffe verloren, wenn seine häuslichen Verhältnisse in Unordnung geraten wären.

Glauben,Fleiß und Gehorsam ihren Männern gegenüber wird schließlich den Bürger-Frauen empfohlen. Denn Zwietracht in der Ehe zerstört ihre Ordnung  und ihren Zusammenhalt und schafft soziale Probleme, die die Gemeinschaft belasten.

 

Die Sprüche an den Frauenstühlen kann man vordergründig und wenn man das so will, auch als einen Katalog männlicher Unterdrückungsmaßnahmen lesen. Wer das tut, verhält sich vollkommen ahistorisch und zeigt, daß er zu einer Einfühlung in das Gesamtkunstwerk Unionskirche wegen Voreingenommenheit nicht tauglich ist.

 

Es war und ist in einer lutherischen Kirche natürlich klar, daß das „Gesetz“, das unten in der Kirche in den Sprüchen an den Brüstungen angeschrieben ist, nicht das Fundament ist für den Glauben an Christus, der in den Bildern oben an der Decke verkündet wird.  Die Wirkungslinie geht selbstverständlich von oben, von den Bildern, vom Glauben an Jesus Christus, nach unten zu den Sprüchen, zum Befolgen des Gesetzes aus dem Glauben.

 

 

2.  Die Sprüche am Stuhl des Grafen.

Graf Johannes und sein Superintendent Johannes Elbert haben mit der gemalten und geschriebenen Glaubensverkündigung den Kirchenbesuchern und den Untertanen einen Leitfaden zum rechten Leben gegeben, um ihrer Pflicht als Regent und als Seelsorger nachzukommen.

Denn was der Graf Johannes als seine Pflicht als von Gott eingesetzte Obrigkeit ansah, das steht auf den 4 Spruchfeldern am Fürstenstuhl. Die Texte betreffen (v. li. n. re.) :

 

1.Seine Legitimation als Obrigkeit.

2.Seine Verantwortung als Obrigkeit vor Gott.

3.Woher der Graf als absolute Obrigkeit die Leitlinien für sein Handeln nimmt.

4.Die vermeintlich vordringliche Aufgabe des Grafen als Obrigkeit..

 

Graf Johannes war ganz selbstverständlich absolut regierende Obrigkeit, sein Wille war Befehl. Aber - und das muß man den Zeitgenossen der Fernsehbildung erneut nahebringen - er war kein Tyrann, der schrankenlos agierte und keine höhere Verantwortung anerkannte.

Johannes fühlte sich Gott und seinen Gesetzen untertan und war sich bewußt, daß er einesTages für seine und seiner Untertanen Taten und Unterlassungen würde Rechenschaft ablegen müssen

 

 

Schluß:

Daß er auf Erden schon würde Rechenschaft ablegen müssen für die Schulden, die er gemacht hat, um seine Kirche kunstvoll auszustatten, weil er mit ihr eitel prunken wollte, das hat er nicht befürchtet, das hat ihn auch wenig gekümmert.

In dieser Hinsicht war er  ganz ein Mensch des Barock, mit allen Stärken und Schwächen.

 

Und so ist Graf Johannes für uns ebenso ein Zeugnis der Zeit vor nahezu 350 Jahren,wie es auch „seine“ Kirche, der „historische Sakralbau“ ist. Dessen Bedeutung ist auch mehr, als nur eine Sammelstätte von Kunstwerken, die den Ortsfremden vorgeführt werden.

 

 

ENDE

14. 3. 2007, KHS.