AN M E R K U N G E N

zu

Rouven  Pons

 

„Für Kunst  und  Glauben“

 

                        „Die Ausmalung der Martinskirche in Idstein unter

                        Graf Johannes von Nassau – Idstein (1603 –1677)“

 

                         Veröffentlichung der Historischen Kommission für Nassau

Wiesbaden 2012

 

von

Karl Heinz Schmidt, Idstein, Febr. 2013

 

Das genannte Buch ist ein wirklich sehr schönes Buch. Man nimmt es gern in die Hand und blättert darin und lässt sich von den ausgesprochen ausgezeichneten Wiedergaben der Fotografien, die eigens für dieses Buch angefertigt worden sind, mit Vergnügen aufhalten. Typographisch gekonnt gestaltet und auf wertvollem Papier gedruckt ist abzuschätzen, dass der Druckkostenzuschuss des Nassauischen Zentralstudienfonds beachtlich gewesen sein muss, um das Buch zu diesem Preis auf den Markt zu bringen.

 

So sehr das Buch durch seinen Auftritt und bei erstem Durchblättern gewinnt, es regen sich Vorbehalte, wenn der glückliche Besitzer zum aufmerksamen Leser wird und in den umfangreichen Textteil des immerhin 360 Seiten starken Buches einsteigt [1]

 Man mag es für eine zu vernachlässigende Kleinigkeit halten, aber der Idsteiner Leser stolpert schon über den Untertitel: „Ausmalung der Martinskirche“. Die „Martinskirche“ war die Kirche des in der Reformation untergegangenen Kollegiatstifts „zu Ehren Gottes, der Gottesmutter Maria und des hl. Martin“ (Struck, S. 435).   Als ca. 120 Jahre später Graf Johannes die Bilder für die Kirche malen ließ, da hatte er die Kirche umbauen lassen, der Martinsaltar war 1673 nach Walsdorf verkauft (Schmidt, Baugeschichte, S. 56) worden, die Kirchenrechnung trug nicht mehr den Titel „St. Martins Stiftkirche“  sondern „Stadt Kirchen Rechnung“  und die Kirche hieß schlicht „Stadtkirche“,unter welchem Namen  sie der Autor auch in Fußnote 479 (S. 136) aus einem Verdingungsakt vom 14. Mai 1673 zitiert  Dabei ist die Bezeichnung „Stadtkirche“ nicht nur als geographischer Hinweis zu verstehen, sondern durchaus auch als programmatische Absicht: Kirche für die Bewohner seiner Stadt Idstein und gemäß deren religiösem Bildungsstand.

Ausgemalt wurde also die „Stadtkirche“, die bis 1917 offiziell so genannt wurde.

In Idstein ist die „Martinskirche“  seit Mitte der 1960er Jahre der Neubau der katholischen Pfarrkirche, die keine historische Verbindung zur alten Stiftskirche hat.

 

Das Bauziel „Stadtkirche“ schließt nicht aus, dass der Bauherr auch ein Denkmal bauen wollte, das wegen seiner kunstvollen Ausschmückung ihm zur Ehre gereichen und seinen Nachruhm begründen sollte. Als ein wesentlicher Teil dieser kunstvollen Ausschmückung fungiert die  Ausstattung mit großen Öl-Gemälden mit Szenen aus den Evangelien des Neuen Testaments (nur !), die an den Hochschiffwänden und der Decke des Kirchenschiffs angebracht wurden, Sie sind auch heute noch der Haupt-Anziehungspunkt für die Kulturtouristen.

 

Da der kunstbeflissene Bauherr, oder der für ihn tätige Maler, oder beide in diesen Gemälden vielfach auf Bild- oder Figuren – Erfindungen anderer Meister zurückgegriffen und sie in ihren Bildern weiter verwendet haben, ist die Bilderdecke ein El Dorado für Rechercheure anderweitig entliehener, hier in „Zweitverwendung“ vorhandener Bildmotive. Der Autor, Rouven Pons, hat bei seinen Recherchen in den Idsteiner Bildern eine Fülle von Motiven entdeckt, für die er eine „Erstverwendung“ in Bildern anderer Meister, zumeist Rubens, nachweisen kann und hat viele davon im Buch abgebildet.

 

Die Bilderdecke ist aber nicht nur wegen ihrer „Zitate“ anderer Meister von Interesse, regelrecht rätselhaft ist – oder besser: war - auch die Hängung, das Neben-, Unter- und Übereinander der Bilder mit den Evangeliumsszenen.  Da dem einigermaßen bibelfesten mitteleuropäischen Christenmenschen die Chronologie der neutestamentlichen Ereignisse vertraut ist, muss ihm das Zueinander der Bilder reichlich chaotisch vorkommen. Es sei denn, die Hängung war nach einem anderen Ordnungsprinzip als dem der Chronologie erfolgt. Den Schlüssel zu diesem anderen Ordnungsprinzip haben die früheren Autoren, die über die Kirche und auch über die Bilderdecke geschrieben haben, nicht gefunden (J. A. Rizhaub, 1787; E. F. Keller, 1859; W.Cuntz. 1866/68, 1917; M. Ziemer, 1937; W. Einsingbach, 1965; N. Werner, 1973).

 

 Erst in dem Aufsatz in den Nassauischen Annalen 98 (1987), 123 – 142, über „das Programm in der Bilderdecke der evangelischen Kirche zu Idstein“ ist das System aufgedeckt worden, nach dem die Bilderdecke zu „lesen“ ist damit sich ihr Sinn offenbart. Dem genannten Aufsatz beigegeben ist auch eine Zeichnung, in der – erstmals nach rund 300 Jahren – der Platz genau angegeben ist, an dem die einzelnen Bilder 1984/87 in der Bilderdecke zu finden waren.

 

R .Pons hat nun auch ein System beschrieben, nach dem die Decke gelesen werden soll .Es ist dem 1987 veröffentlichten nicht ganz unähnlich, kommt aber durch die Überlagerung mit einem theologischen Korsett, bzw. durch die Einzwängung in eine theologische Geistesrichtung zu Schlussfolgerungen, die nicht alle von den Kennern der Materie akzeptiert werden können. Aber Pons ist sich sicher, eine neue und vor allem auch eine kompetentere Sicht auf die Idsteiner Unionskirche vortragen zu können und wählt – passend zu diesem Anspruch – als Frontispiz das Bild von der „Tempelreinigung“ als sichtbares Zeichen einer neuen Verstehens – Epoche.

 

In den ersten 110 Seiten befasst sich R. Pons mit der Person des Bauherrn und der Baugeschichte der Kirche, in der die Bilderdecke realisiert worden ist. Der Autor hat seinen Text mit zahlreichen Quellenangaben belegt, dennoch fallen textliche und begriffliche Unschärfen auf, die hier der besseren Übersichtlichkeit halber einfach der Reihe nach abgehandelt werden

Nachfolgend sind die beanstandeten Passagen des Ponsschen Textes in kursiv, die Seitenangaben mit dem Zusatz o = oben, m = Mitte, u = unten, angegeben.

Des besseren Verständnisses wegen empfiehlt es sich, diese „Anmerkungen“ parallel zum Buchtext zu lesen.

 

 

 

1.   TEIL  : NASSAU – IDSTEIN  UND GRAF  JOHANNES

 

S. 11 u            :…wurde die Stadtkirche in Idstein umgebaut und mit 38 Ölgemälden ausgeschmückt…        

Umgebaut wurde die Martinskirche und die Stadtkirche erhielt  Ölgemälde.

 

S. 15 o:  …Was hat den Bauherrn bewogen, ein Gebäude mit einer solch eigenen Note und Kraft zu verwirklichen …                   

Diese Frage beantwortet der Autor hier leider nicht. Ich vermute, deshalb nicht, weil sich in seinem Archiv kein darüber Auskunft gebendes Dokument gefunden hat. Hier hätte der Autor aus Urkunden , die andere   Lebensbereiche des Grafen betreffen, durchaus eine Hypothese formulieren und zur Diskussion stellen dürfen. Eine Hypothese wurde auf dem Kolloquium der TU Dortmund in Idstein am 30. 6. 2012 vorgetragen. Dr.Pons war unter den Zuhörern.

 

S. 15 o:  …Angesichts der künstlerischen Qualität der Malereien … ist es um so überraschender, dass bis heute niemand eine bildliche Gesamtdokumentation vorgelegt … hat.

Irrtum.  Die detaillereichen S/W Aufnahmen von Foto Marburg aus den 1930er Jahren, jetzt auch im Internet einsehbar, erwähnt der Autor S. 107.   Außerdem gibt es private Aufnahmen von jedem Bild der Decke aus 1983 und 1984, die in den Aufsatz in den Annalen 1987 eingeflossen sind (siehe a.a.O. S.126) und über den Geschichtsverein Idstein an verschiedene kunstgeschichtliche Institute bzw. deren Leiter weitergegeben wurden.

 

S. 18 m: …Die vorliegende Studie wird es deshalb zwar nicht zum ersten Mal in Angriff nehmen, das Bildprogramm zu entschlüsseln, sie ist aber die erste, die dieses Anliegen in den Mittelpunkt rückt und dementsprechend eine detaillierte Bildanalyse vornimmt, um eine Erklärung für diese außergewöhnliche Kirchenausstattung zu finden….

Auf S. 19 nennt der Autor die „Hilfswissenschaften“,die er zur erwünschten „Erklärung“ beiziehen will: Theologie,  Geschichte, Kunstgeschichte, Sozialwissenschaften. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, wenn der „Erklärer“ die Souveränität besitzt, durch etablierte Dogmen der Hilfswissenschaften hindurch noch die eigenständige Originalität und ggf. die den Dogmen widersprechende  neue Erfindung der zu erklärenden Sache (Kirchenausstattung) zu erkennen und anzuerkennen.

Dass der Autor Schwierigkeiten hat,sich damaliger theologischer / pietistischer Vorstellungen zu erwehren, wird in seinen Bildanalysen deutlich.

 

S. 23 o: … Die Idsteiner Kirche wird  …Quelle zum Verständnis der Lebensbeding-

ungen ihrer Erbauer … an einem recht mediokren Grafenhof …

Dieses Urteil über den Grafenhof schon in der Einleitung des Buches zu bringen bevor beweisende Sachverhalte erörtert worden sind, schmeckt sehr nach Voreingenommenheit.

 

S. 25 o: …die Verleihung der Fürstenwürde, die auf sich warten ließ, …

Der Autor leitet aus dem Ausbleiben der Fürstenwürde, um die sich der Bauherr offenbar seit seiner Rückkehr aus demExil bemüht hatte, eine „angeschlagene Grundhaltung“ des Grafen ab. Der Autor referiert aus einem Brief des Grafen aus dem Jahr 1667 dessen Meinung (S. 26 o), dass sich das Land seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr erholt hätte und einer trostlosen Zukunft entgegen ginge. Zudem beklagt er seine familiäre Situation, dass er nur ein einziges kleines Söhnchen als Nachfolger habe.

Aus dieser Klage eines alten Mannes – wenn sie denn echt gemeint ist und nicht einen politischen Hintergrund hat - (bei den FN 32 u. 33 auf S. 26 wäre die Angabe des Briefdatums wünschenswert), die in der Zustandsbeschreibung des Landes z. B. auch noch vollkommen falsch weil zu negativ  ist, „einen angstvollen Blick in eine desaströse Zukunft“ herauszulesen, ist zugespitzte Interpretation des Autors.

Daraus aber wiederum für „das Leben des Grafen und die Entwicklung der Grafschaft N.-Idstein insgesamt einen düsteren (!) Zug ewigen Scheiterns“ abzuleiten, geht nicht ohne entsprechende Selektion der Fakten.

Die Bemühungen des Grafen Johannes um die Fürstenwürde hat er selbst wohl nie als gescheitert angesehen, denn 1653,1654,1667, 1668,1672, 1674,1676 gab es entsprechende Initiativen in Regensburg (nach  Gf: Johannes Tod noch  in 1685 und Verleihung in 1688. Dissertation W. Rudorff, „Die Erhebung der Grafen von Nassau in den Reichsfürstenstand“,Berlin 1921).

 

 

S. 31 u: …Das Exil  in Straßburg [brachte] für den Grafen auch einen persönlichen

Schicksalsschlag … an Weihnachten 1644 starb dort seine Ehefrau Sibylle(-a !) Magdalene(-a !) … sie wurde in der Kirche St. Thomas beigesetzt ….

Wegen der später folgenden Bewertung der Überführung des Leichnams nach Idstein, hier die Fakten für die Beisetzung inStraßburg.

·        Dienstag, 24. 12. 1644, nachts 11 Uhr: Sybilla Magdalena stirbt in Straßburg im Haus zum Seidenfaden (Quelle: Trauerpredigt, siehe Mi., 1. 1. 1645) .

·        Die Erlaubnis zur Beisetzung der Sibylla Magdalena in St. Thomas hat Graf Johannes vom St. Thomas Kapitel erbeten. Das hat den Wunsch des Grafen am Samstag, 28.12. 1644, beraten. Obwohl der Graf die Gebühr für einen Grabplatz derzeit  nicht entrichten konnte, die Zahlungsverpflichtung aber anerkannte, war das Kapitel bereit, dem Grafen einen Grabplatz einzuräumen, wenn der Graf die Erlaubnis des Magistrats erlange, Sibylla Magdalena in St. Thomas begraben zu dürfen (Quelle:Archives Municipales de Strasbourg, Sign. A S T 591, Acta Capituli Thomani, S.60).

 

·        Am Sonntag, 29. 12. 1644, trägt der regierende Ammeister dem  Rat der XIII das Gesuch des Grafen um einen Begräbnisplatz vor. Die XIIIer wollen dem Gesuch des Grafen entsprechen, zuvor soll aber der Rat der XXI gehört werden (Quelle:Archives Municipales de Strasbourg, Sign.501, Procès Verbaux de la chambre des XIII. 1644 -1646, p.89 v).

 

·        Am Montag, 30. 12. 1644, berichtet der regierende. Ammeister dem Rat der XXI von dem Gesuch des Grafen, das er gestern vor die Herren XIIIer gebracht habe .Diese seien für Genehmigung des Ansuchens, wollten aber, dass der Rat der XXIer sich damit befasse. Der Rat beschließt: „Soll Ihro Gnaden in dißem Ihrem Desiderio wilfart werden.“ (Quelle: Archives Municipales de Strasbourg, Sign.125,Procès Verbaux de la chambre de XXI, 1644, p. 217 v.)

 

·        Mittwoch,  1. 1. 1645, Trauerpredigt des Rektors der Universität M. Benedict Gros für die Verstorbene (Archives Municipales de Strasbourg, Sign. A S T 447 / IV, 23).

 

·        Donnerstag, 2. 1. 1645, 12 Uhr. Der Leichenzug vom „Nassauischen Hof an der Breusch gelegen, genannt zum Seidenfaden“, überführt die Tote in die St. Thomas Kirche. (QuelleTrauerpredigt wie vor.)

 

Dass der Sibylla Magdalena in St.Thomas ein Grabmal errichtet worden wäre, ist nicht überliefert, ist angesichts der damaligen finanziellen Enge des Grafen auch unwahrscheinlich.  Die FN 56, in der die Existenz eines solchen Grabmals angenommen wird, kann entfallen.

 

S. 33 o: … [Im Dezember 1644] … kehrte Graf Johannes nach Idstein zurück, und bemühte sich redlich, die durch die Exilierung zugefügte Schmach auszugleichen. …

Welche „redlichen Bemühungen“ der Graf hier unternommen hat, sollte der Autor bitte beschreiben. FN 59 betrifft nicht diese Bemühungen.

Die „Exilierung“ durch den Kaiser konnte eigentlich nur gegenüber diesem, bestenfalls noch gegenüber Standesgenossen als Schmach empfunden werden, gegenüber seinen Untertanen, von denen auch viele das Land während des Krieges verlassen hatten (siehe Sebastian Post, Idsteiner Heimatschau, Reprint 1987, S. 158), keinesfalls. Dass der Graf wegen „erlittener  Schmach“ seine Reputation und auch sein Selbstwertgefühl beeinträchtigt gesehen habe , ist nicht belegte Annahme des Autors.

Wie auf S. 25 (siehe oben) scheint hier eine Tendenz des Autors durchzuscheinen, den Grafen als psychisch  angegriffen zu schildern.

 

S. 35 o: …Die impulsive, ja häufig schon jähzornige und cholerische Art des Grafen

Johannes und sein aus den schlechten Lebenserfahrungen gespeistes Misstrauen wurden immer wieder zur Bewährungsprobe der Korrespondenz. …

Impulsiv, jähzornig, cholerisch, OK, mag schon sein, Herr Pons hat die Briefe gelesen.

Ob man dieses zeitbedingte Misstrauen als Charaktereigenschaft auf die restliche Lebenszeit  des Grafen ausdehnen darf, ist zumindest fraglich.

 

S. 37 u: …Nachdem die kühnen Hoffnungen der ersten Nachkriegsjahre gedämpft

worden waren, blieb Graf Johannes nicht viel mehr übrig, als sich auf sein kleines Territorium zurückzubesinnen und das Beste aus den bescheidenen Mitteln zu machen die ihm blieben.

Wenn der Autor mit den gedämpften Hoffnungen die nicht erhaltene Fürstenwürde meint, wie stellt er sich denn dieSituation eines „Fürstentums“ N.-Idstein vor ? Territorial größer wäre es nicht gewesen und nach Bezahlung der Ernennungsgebühr an Wien wäre es auch ärmer gewesen.

Ist es also nicht gerade umgekehrt: Weil kein Fürstentitel zu finanzieren war, konnte sich Johannes via Kunstförderung eine (einigermaßen) fürstenmäßige Residenz schaffen, mit der er mit anderen „Fürsten“-Residenzen konkurrieren konnte.  

Die Änderung, der angebliche Kurs-Wechsel im Lebensziel muss nicht als ein Akt der Resignation gedeutet werden, was der Autor tut, sondern muss – nach dem Elan, mit dem die Kunst - Repräsentations – Projekte vom Grafen angegangen werden – als lebensbejahende und Daseins erfüllende Alternative und vielleicht sogar als eine Trotzdem – Reaktion zu  einem ärmlichen Fürsten-Dasein verstanden werden.

 

S. 38,o: …Auch fühlte er, … dass er Gefahr lief, zusehends in die Bedeutungslosigkeit    herabzusinken, wenn er nicht tatkräftig dagegen anging. …Die Kunst konnte hierbei als Rettungsanker dienen, um die gefährdete Reputation zu sichern.  …

S. 39 m und u : … die Flucht in die Ästhetik … als  Ausweg aus der eigenen politischen Enge gesehen werden muss …

Dass die glänzende Fassade der Idsteiner Gemäldesammlung, die  an die 300 Bilder umfasste, in dieser Interpretation als Kompensation und Flucht einen betrüblichen Hintergrund bekommt, ist naheliegend.

Der Autor bemängelt das Fehlen einer klaren Linie in der Porträtgalerie des Grafen. Er notiert prohabsburgische Porträts, Feinde Nassaus, englische und spanische Könige und vermutet, dass für die Auswahl der Porträts weniger der Porträtierte als der Maler ausschlaggebend gewesen sei. Das sei, so der Autor, „im Umfeld fürstlicher Porträtsammlungen ungewöhnlich, da (dort) die Porträts nach dynastischen Kriterien ausgewählt wurden“.

Der naheliegende Schluss aus diesem Befund, dass hier ein gleichsam modernes Vorhaben, „die Sammlung berühmter Maler“ Ziel der Sammlungstätigkeit“ gewesen sei wird zwar ausgesprochen (S. 39 m), aber mit einer gewaltigen Volte, deren Kehrtwendung  im Zusammenhang mit der Beurteilung einer Gemäldesammlung völlig unmotiviert plötzlich erscheint, in einen ganz anderen Bedeutungszusammenhang transportiert: „Ein erkennbarer politischer Handlungsradius existierte nicht, so dass die Flucht in die Ästhetik auch als Ausweg aus der eigenen politischen Enge gesehen werden muss.“

Zu dieser Kompensationstheorie des Autors ist allerdings zu fragen, wann denn hatte der Graf „politischen Handlungsradius“,  wann hat er diesen verloren und lebte seitdem in „politischer Enge“ ? Um 1650 waren die Zeiten, in denen der Graf etwas von „politischem Handlungsradius“ spüren konnte, als er Mitglied im „Consilium Formatum“ des Schweden Oxenstierna war, schon gut 15 Jahre vorbei und es war ihm doch wohl bewusst, dass nach 1648 auf dieser oder einer ähnlichen  Bühne keine offensiven Aufführungen mehr stattfinden würden.

Den „betrüblichen Hintergrund“ den der Autor der Sammlung attestiert, hat der Sammler selbst wohl nicht empfunden,sonst hätte er sich nicht so frei zur Sammellust bekannt : „ … Es ist eine Seuche … nicht zu ersättigen.“ (S. 40 o.).

 

S. 40 u: …Graf Johannes erkannte bereits in der Weltflucht eine  Ersatzbefriedigung  …Gemäldesammlung und Kunstförderung … bildeten damit den Kontrast zu den immer enger werdenden, ängstlich frömmelnden und zum Teil auch bigotten Zügen, die sich in den letzten Jahren des Grafen in Idstein herausbildeten. Doch … waren dies zwei Möglichkeiten aus einer als defizitär verstandenen Wirklichkeit zu entfliehen.

Es ist schon erstaunlich, welchen Einblick der Autor in die Stimmung und Seelenlage am Idsteiner Hof hat. Nur, wer oder was hat ihm diese Einblicke verschafft ?

Woran ist die herrschende „Weltflucht“ denn zu erkennen ?  An den Projekten,die  der Graf vorantrieb und die für eine über die eigene Lebenszeit hinausreichende Dauer bestimmt waren, wie Schlossbau, Gartenanlage samt Florilegium, die Gemäldesammlung, später auch der Umbau der Kirche, dazu  Ansiedlung von Katholiken zur „Peuplierung“ des Landes ?

Ist es „Weltflucht“ wenn der Graf seiner zweiten Frau in 22  Ehejahren zu 17 Geburten verholfen hat ?  Geschah das nur aus dynastischen Gründen oder war da auch ein bißchen Lust dabei ?

Wo sind die Zeugnisse für den„frömmelnden“ und tlw. „bigotten“ Idsteiner Hof ? Man war lutherisch und predigte gegen die Calvinisten, was für  den Sohn des Schlossbaumeisters  Anlass war, Idstein zu verlassen. Die katholischen Neusiedler konnten katholisch bleiben. Ist das Bigotterie ?

 

S.41 o: … der erstgeborene [Sohn] Gustav Adolf fiel 1664 … gegen die Türken. Er war bereits1653 zum katholischen Glauben übergetreten, … [was] den Grafen aufs Heftigste erzürnt und zur Verfluchung seines Sohnes animiert hatte… Hierdurch blieb GrafJohannes ohne Erben zurück.

Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der Konfessionswechsel als ein üblicher Vater – Sohn – Konflikt, wie er z. B. auch in Don Carlos geschildert wird.

Die verbale Kraftmeierei des Vaters mit der Verfluchung führte nicht – wie oft behauptet wird – zur Enterbung desSohnes.

Tatsächlich hatte Graf Johannes nach dem Tod von Gustav Adolf keinen eigenen Sohn als Nachfolger. Es gab aber nachfolgefähige Neffen in Weilburg und Saarbrücken.

 

S. 41 m: …Superintendent Elbert  [hielt] die Leichenpredigt auf Gräfin Anna.

Ohnehin ist diese Predigt aussagekräftig für die Gemütslage am Idsteiner Hof um 1670 ,denn sie ist in ihrem umfassenden Defätismus, der über das Übliche hinausging,    kaum zu überbieten.

Die Bewertung der „Leichenpredigt“ als ein Zeugnis des umfassenden Defätismus, der am Idsteiner Hof geherrscht habe ,ist eine maßlos daneben gegangene Fehlbeurteilung. Der Autor hat sich durch die„Beerdigungslyrik“, die selbstverständlich in eine Beerdigungspredigt dieser Zeit hineingehört (und auch heute noch auf Beerdigungen zu hören ist !), so verwirren lassen, dass er in „deren dunklem Duktus“ keinen Trost für die Hinterbliebenen findet und ihnen daher flott und forsch die „persönliche Aussichtslosigkeit“ ansagt, die „beim Grafen zu einer Verfinsterung des Gemüts“ führte (S. 43 o).

 

Allein schon wegen dieser abenteuerlichen „Beweis“-Führung gehört der Text eingestampft !

                                       

Zu dieser falschen  Einschätzung der Stimmung am Idsteiner Hof kommt der Autor durch einen Fehler in der Auswertung der „Leichenpredigt“. Als Quelle gibt der Autor in den Fußnoten 109, 111, 112, und 113 an: „Elbert, Personalien,S. 493, 494 und 495“. Das ist aber nicht das Original, das hier angeführt wird,sondern der Abdruck von nur dem Kapitel „Personalia“ der 1933 in der „Idsteiner Heimatschau“ veröffentlicht wurde und in dem 1987 erschienenen Reprint auf S.493 f.  steht . In dem im HHStAW liegenden 40-seitigen Original der Leichenschrift folgen auf 18 Druckseiten „Klag- und Trost – Predigt“, in der der vom Autor als fehlend angemahnte Trost in den vor 350 Jahren üblichen und angemessenen Worten gespendet wird, 8 Druckseiten „Personalia“, die der Autor für die ganze Leichenpredigt hält und aus der der Autor seine „dunklen“ Wahrnehmungen ableitet. 10 Druckseiten Trauergedichte von verschiedensten Idsteiner Bürgern am Schluss der Druckschrift verbreiten auch nicht die Weltuntergangs-Stimmung wie sie der Autor heraufziehen sieht.

 

S. 43, FN 118: … 1650 wurde die Schwiegermutter des Grafen Johannes , Anna

von Leiningen – Dagsburg in der Idsteiner Kirche bestattet, vgl. Gedenktafel in der Kirche.

Es ist keine Gedenktafel für sie vorhanden .

 

S. 44 o: …So kann der Umstand, dass in den 70er Jahren die Welle der

Hexenverfolgungenin Idstein ausbrach, als Beleg dafür herhalten, dass die Gedanken von Vater und Tochter recht konform gingen.

Der Autor konstruiert hier aus dem Kontakt der Grafentochter Christine Elisabeth (*1651, + 16. 10. 1676) mit dem Wiesbadener Arzt Dr. Joh. Gottfried Geilfus , der von dem „nahen Ende der …gantz im argen und segenfressenden Sünden liegenden Welt“ in seinen Schriften redete (S. 43 u), einen depressiven Einfluss auf den Vater, der in der Hexenverfolgung mündete. Konkrete Belege für diese Kausalkette werden nicht angeführt.

 

S. 44, FN 125: Sterbefälle … Die Särge der Prinzen Ludwig Friedrich, Johannes

und Karl sind noch heute in der Idsteiner Kirche vorhanden.

Der Sarkophag des Prinzen Johannes steht in der Gruft unter dem Chor. Der Sarg des Prinzen Karl wird in der Gruft unter der Sakristei vermutet. Das Grab und der Sarg des vor Elbing gefallenen Ludwig Friedrich wurde bei der Kirchenrenovierung in den 1960er Jahren aufgehoben (siehe Schmidt, Grüfte und Sarkophage).

                              

S. 44 u: …dass es am Ende der Regierungszeit [des Grafen] heftige Unruhen

gegen ihn gegeben haben muss…

Zum Beleg für diese Mitteilung wird in FN 126 auf eine Literaturstelle verwiesen, in der aber von  Unruhen oder dergleichen keine Rede ist.

 

S. 45 o: …bezüglich der Hexenverfolgung [holte sich der Graf] auch Rat bei dem

Frankfurter Theologen  Ph. J. Spener

Der nicht zitierte Brief Speners und die allgemeinen Auslassungen des Grafen zur Problematik von Hexenprozessen haben vordergründig keinen Bezug zum Thema des Buches, es sei denn der Autor will vorführen wie Hexenverfolgung und Bilderdecke aus gleicher, misantropischer Geisteshaltung entstanden sind.

 

S. 46 u: … Die wenig erfolgreiche Lebensgeschichte war … nicht dazu angetan,

Einwände gegen seine Person zu entkräften … und sein direktes Umfeld scheint nicht dazu angetan gewesen zu sein, ihn aus dieser Schwermut zu befreien. …

Dass der Streit um das Erbe Familien entzweien kann, ist keine Besonderheit. Wie sehr darunter gelitten wird, ist individuell verschieden. Eine erfolgreiche Lebensbilanz kann über entstandene Verbitterung und Schwermut hinweg helfen. Dass dies bei Gf. Johannes nicht der Fall gewesen sein sollte, ist eine weitläufig abgeleitete Annahme des Autors.

 

S. 47 m: … In Idstein scheint … im Umkreis der Töchter des Grafen, die im Zuge

seiner Krankheit immer mehr das Heft in die Hand nahmen, ein Frömmigkeitszirkel Spenerscher Prägung entstanden zu sein. …

Wenn dem so gewesen sein sollte wie der Autor es mutmaßt, dann hat der „Frömmigkeitszirkel“ aber keine öffentlich wahrnehmbaren Wirkungen entfaltet, z-B. nicht mäßigend auf die Anzahl der Hexenverurteilungen eingewirkt. Wobei doch, so der Autor, die Töchter, die vermutlich doch die treibende Kraft des Zirkels waren, angeblich „immer mehr das Heft in die Hand nahmen“.

 

S. 47 u: …Spener lernte [bei seinem Besuch in Idstein] den Superintendenten

Joh.Phil. Elbert kennen, dessen ohnehin eher unkonventionelle Theologie durch die Begegnung stark von pietistischem Gedankengut berührt worden sein mag. ..

Die hier eingefügte FN 148, die auf die Seiten 288 -290 im ersten Teil der Göbelschen Elwert – Ausätze verweist, bringt keinen Hinweis auf die angebl. „unkonventionelle“ Theologie des Elbert. Göbel schreibt aber S. 289 o, daß „seine theologische Herkunft als auch sein Katechismus [zeigen], dass er von der Calixtinischen Schule … geprägt ist. …er war ein heimlicher Anhänger der Calixtinischen Theologie.“

Ob Elbert tatsächlich „stark“ von Spener beenflusst worden ist, hat Göbel in seinen Aufsätzen untersucht und keine „starken“ Abhängigkeiten festgestellt.

 

S. 50 o : … Auch das … für den Grafen vorgesehene Epitaph … ein mit Wappen

geziertes Hochgrab … wurde nicht aufgerichtet. Diese [geplante] antiquierte Gestaltung eines Grabmals kann nur als eine Angleichung an ältere Grabmalsformen verstanden werden, wie sie die Idsteiner  Kirche in größerer Zahl beherbergte. …

Nach dem Umbau der Kirche durch Graf Johannes waren nur noch wenige Grabdenkmäler vorhanden, wahrscheinlich nicht mehr, als die drei die heute noch im sog. „Reiterchörchen“ stehen. Der S. 49 abgebildete Grabmal – Entwurf steht in der Tradition ähnlicher Grabmäler in St.Arnual und hätte an keiner Stelle in die Neu – Konzeption der Idsteiner Kirche eingepasst werden können.

Die deshalb (!) verwirklichte Konzeption (Entwurf Abb. S. 50, Ausführung Foto S. 172) steht seit dem Umbau des Chores durch den Sup.-Intendenten Lange nicht mehr am ursprünglichen Platz,d. h. vor dem Eingang zur Gruft des Grafen, sondern hinter dem Retabel desChor-Altars. Näheres dazu bei Schmidt, K.H., „Das Johanneische Kruzifix, ZumGrabmal des Grafen Johannes“, Nass. Annalen 121, 2010, S. 73 – 82.

(Die FN 556 auf S. 170 „Vgl. Schmidt,Kruzifix, passim“ führt leider ins Leere, denn im Verzeichnis „Darstellungen“fehlt die Auflösung des Kürzels ! )

 

S.52 u: …[Die Tochter Christine Elisabeth schreibt in einem Brief] Gott ist

bekannt,in  was betrübtem Zustand wir leben, bitte Gott, dass er uns aus diesen trübseligen Zeiten zu sich nehmen wolle. …

Nach FN 177 ist die Schreiberin gerade mal 22 Jahre alt, als sie 1673 die trübseligen Zeiten beklagt. Spener war 1673 noch nicht in Idstein gewesen, vielleicht hatten dennoch schon seine Trübsal verbreitenden Frömmigkeitszirkel bei den Grafentöchtern Anklang gefunden. Da die Schreiberin schon wenige Zeit später, am 16. 10. 1676 mit 25 Jahren stirbt, kann es auch sein, dass körperliche Gebrechen ihr das Leben verdüsterten. Jedenfalls ist ihre Zustandsbeschreibung in erster Linie Ausdruck ihrer eigenen persönlichen Befindlichkeit.

Daraus aber „auf alle Fälle … eine ins Depressive gehende Sinnkrise eines altehrwürdigen  Grafenhauses“ abzuleiten, „die sich mit Sicherheit auch auf die Gestaltung der Hof- und Stadtkirche … ausgewirkt haben wird“ ist schon eine mutige, vielleicht auch - wegen der allmählich sich häufenden Heranziehung des Arguments -  entlarvende Interpretation des Autors.

 

2.   TEIL: DIE  STIFTSKIRCHE  ST. MARTIN

 

S.55 o und u. : Die aus damaligen, in  Archiven liegenden Listen mit Namen

von Leuten, die in Idstein wohnten,sind nur mit großer Vorsicht als Einwohner – Listen zu interpretieren. Es sind zumeist „Steuer“ – Listen, die nur die von der Steuer betroffenen Personen aufzählen. So ist die im ersten Absatz dieser Seite genannte Zahl von 40 bis 69 Bürgerfamilien als Einwohner zur „Regierungszeit des Grafen“ mit Sicherheit zu gering.

Die in FN 182 für 1684 genannten Zahlen für die verschiedenen Kategorien an Einwohnern, die sich auf 419 Köpfe addieren, hat größere Wahrscheinlichkeit für sich.

 

S. 55 u: … Kirche als Grablege des Hauses Nassau – Saarbrücken, … Relikte

besonders im Reiterchörlein … am Ostende des südlichen  Seitenschiffs …

Nassau – Saarbrücker Grafen , die hier beigesetzt sind, waren allein der Graf Johannes und sein Sohn Georg AugustSamuel (und deren Kinder etc.) Davor waren es ausschließlich Nassau – IdsteinerGrafen.

Das Reiterchörlein befindet sich – entgegen der Angabe in älteren Dehio-Ausgaben – im nördlichen Seitenschiff.

 

S. 56 u und 57 o : … 1668, nach dem Tod der zweiten Ehefrau,wurde der

Leichnam der …Sibylla Magdalena … von St- Thomas in Straßburg nach Idstein überführt.

 I n s g e h e i m  war der Zinnsarg …aus derGruft … geholt worden … durch einen Straßburger Kaufmann – o h n e  dass dieser wusste was er transportierte – nach Idstein [gebracht worden]. S t i l l und  h e i m l i c h wurde dieGruft wieder zugemauert und dem Stift 100 Taler bezahlt, „damit aller Argwohn verhütet werden möchte“.

Dieser im Wiesbadener Archiv liegende Bericht der vom Grafen mit der Überführung beauftragten Personen ist in den letzten Jahren wie ein  Bericht über eine geheime „Nacht und Nebel-Aktion“ gelesen worden und auch der Autor entgeht nicht der Versuchung, die Überführung als eine Art „Leichenraub“ darzustellen (Sperrungen im Text bei Abschrift).

Sichtet man allerdings zusätzlich die korrespondierenden Straßburger Archivalien, dann erhält man das Bild einer rechtmäßig abgelaufenen „Erhebung“ und :Überführung des Sarkophags.

 

·        Dienstag,12. Januar 1669: Der Magistrat der Stadt Straßburg erlaubt die Erhebung und Überführung der Sibylla Magdalena gegen eine Abzugsgebühr („licentia deducendi“) von 100„imperiales“.

Das berichtete der Dr. Rebhan auf derSitzung des St. Thomas-Kapitels am 16. Januar 1669.

 (Quelle: Archives municipales de Strasbourg,Bestand Archiv St. Thomas (AST), Nr. 592 Acta Capituli Thomani, S. 923.)

 

·        Mittwoch.13. 1. 1669, Die Beauftragten des Grafen beschaffen sich in Straßburg Geld für die Kosten der Aktion (Quelle: HHStAW)

 

·        Donnerstag,14. 1. 1669, Bericht an den Grafen über die erfolgreiche Erhebung desSarkophags und seinen Versand (Quelle: HHStAW).

 

·        Samstag,16. Januar 1669, Kanonikus Dr. Rebhan berichtet dem Stiftskapitel, dass er die„Abzugsgebühr“ für die Sibylla Magdalena in Empfang genommen habe. (Quelle: wie vor bei Di., 12. 1. 1669)

 

·        Sonntag,31. Januar 1669, Der Kassenführer des St. Thomas Stifts verbucht den Empfangvon 75 Pfund, die er von „D. Johann Reebhaano, canonico bey dießem Stifft“erhalten hat „wegen Herrn Grafen Johann von Nassau  fürstl. Gemahlin seel. vor die Beystellung“.

(Quelle: Archives municipales de Strasbourg, Bestand AST, Nr., 858, Stifts- und Capitel-Rechnungen 1669, S. 70v.)

 

Die im oben zitierten Text des Autors häufig vorkommenden Hinweise auf die Geheimhaltung des Unternehmens verleiten den Autor zu der unangebrachten  und völlig daneben liegenden Frage „sollte auch [wieso „auch“ ?] diese Aktion Indiz eines latenten Verfolgungswahns des Grafen in seinen späteren Jahren gewesen sein ?“

Auf den wahren Grund für die Geheimhaltung hätte auch der Autor kommen können, aber er scheint ganz und allein auf die Papiere in „seinem“ Archiv fixiert zu sein.

Im Januar 1689 war der  Erste Raubkrieg Ludwigs XIV, der sog. Devolutionskrieg 1667 / 68 um einige niederländische Provinzen gerade ½ Jahr vorbei (Friede von Aachen Mai 1668). Durchs Elsass vagabundierten noch die Söldner, die in Burgund und in Flandern gekämpft hatten. So einen Klumpen Zinn wie den Sarkophag hätten die allemal gebrauchen können, um daraus Gewehrkugeln zu gießen (wie es die franz. Revolution dann später auch mit den Sarkophagen in Straßburg gemacht hat). Die Geheimhaltung war also aus Gründen des sicheren Transports geboten,nicht weil der Graf an dem Verfolgungswahn litt, den der Autor ihm anhängen möchte  !

 

S. 57 m:…Es ist deshalb davon auszugehen, dass beide Ereignisse [gemeint ist

offenbar der Beginn des Umbaus der Kirche und die Bestattung der beiden Gemahlinnen]  in Zusammenhang standen und die Bestattung der Ehefrauen den Grafen dazu veranlasste, die Kirche zur Grabkirche auszubauen.

Die Gruft für die beiden Ehefrauen war Ende März 1669 bereits fertiggestellt.

Die Kirche war seit eh und je Begräbnisort für das Grafenhaus. Was soll dann die Überlegung zu einer„Grabkirche ?  Zu einem „Mausoleum“,vielleicht. Aber das für 2 Leichen ? Oder für 3 – wenn man den Graf mitzählt. Wenn sich für diese Pläne irgendwo Belege finden sollten, dann sind das wohl vorübergehende Überlegungen, wie sie jeder Bauherr irgendwann anstellt.

Die Gruft für die beiden Ehefrauen war fertiggestellt als Sibylla Magdalena von Straßburg kam, nicht erst März 1669.Die Trauerpredigt spricht davon und wo sollten die beiden Leichen (die zweite Frau im allmählich müffelnden Holzsarg ?!) denn 1/4 Jahr lang herumgestanden haben ? Datum : Lese oder Druckfehler ?

 

S. 57 / 58 : Hier ist zu fast jedem Satz eine Anmerkung zu machen.

Primär war wohl die Überführung der gotischen Formensprache in eine zeitgemäße Struktur mit Rundbogen angedacht, die durch den Einbau von Emporen auch eine Anpassung …an die Bedürfnisse des protestantischen Gottesdienstes ermöglichte.

Als „Beweis“ wird in FN 199 Einsingbachs Kirchenführer angegeben. Da steht aber nichts von „primär“ angedacht, sondern schlicht: „Die Marmorarkaden waren bis 1672 aufgebaut“.

 

Man adaptierte … den Typus des Schlosskirchenbaus in Torgau … ohne diese Formen …übernehmen zu können. Denn die bisherige architektonische Grundstruktur der Kirche wurde beibehalten.

Der „Grundriss“ wurde wohl beibehalten, wenn auch die Kirche nach Westen um 8 -10 Meter verlängert wurde..Dass die „Grundstruktur“, also  der auf dem Grundriss stehende „Bautyp“ beibehalten wurde, also „Hallenkirche“ oder „Basilika“, stimmt nicht.

 

Um das Langhaus herum hatte der Einbau der Emporen zu erfolgen, die durch Rundbogenarkaden unterteilt wurden.

Umgekehrt ! In die Rundbogenarkaden,die zuerst aufgebaut waren, wurden die Emporen eingebaut

.

 …die Wände (der Kirche) wurden erhöht und die Seitendächer der Kirche abgebrochen,um sie in flacherer Steigung wieder aufzubauen. Diese Neigung  musste bereits 1680 wieder verändert werden,weil es in die Kirche hineinregnete.

Der Autor berichtet, dass die Kirche vor dem Johanneischen Umbau steile Seitenschiffdächer gehabt habe, die man durch Seitenschiffdächer mit geringerer Neigung ersetzt habe. Außerdem habe man die „Wände“, gemeint sind evtl.. die Hochschiffwände des Mittelschiffs, erhöht.

Dass „die Wände“ erhöht worden sein sollen, dagegen spricht der Baubefund(Mauervorlagen am Chor, Raum über der heutigen Sakristei.  Mit der Erwähnung von Seitenschiffdächern, die nur an einer Basilika vorhanden sein können, schreibt der Autor als Bautyp der Kirche, sowohl vor als nach dem Umbau, die Basilikaform fest . Gegen diese (althergebrachte) Einordnung  ist schon 2003 in dem Aufsatz „zur Baugeschichte der Stiftskiche St. Martin“ in den Nass.Annalen, 114, S. 47 ff, bisher unwidersprochen Stellung bezogen worden.

Dass die Neigung der Seitenschiffdächer bereits 1680 wieder verändert worden sei, wie der Autor unter Bezug auf die Quelle in FN. 202 (S. 59) berichtet, ist mir bei meinen Recherchen offenbar entgangen. Ich habe gefunden, dass die Seitenschiffdächer erst in den Jahren 1700 / 1701 mit steilerer Neigung erneuert worden sind (FN 80 – 82, S. 65 in vorgenanntem Aufsatz).

 

S. 60 / 61 :Für das Kapitel„Grabeskirche“ ist die vom Autor beigegebene

Quellenlage so dürftig, dass das einen vermutlich nur momentanen und vorübergehenden Planungszustand beschreibende Kapitel ohne merkbaren Verlust auch hätte entfallen können.

In FN 219 (S. 60) wird ein Marmorierer, der das Kirchen Gewölb vermarmoriert, 1673 erwähnt, wobei der Autor darüber nachdenkt, was mit dieser Ortsangabe eigentlich gemeint sein könnte. Bereits im Dez. 1671 hatte der Graf mit Johann Walter in Straßburg darüber korrespondiert, dass das gesamte Kirchengebäude im Inneren mit Marmor verkleidet werden sollte (FN 220, S. 61). Ebenfalls nach FN 220,betr. das Jahr 1671 (!), hat der Marmorierer für die Arbeit 150 rtl. erhalten. Das passt alles wenig zusammen und gibt kein vernünftiges Bild.

Letztendlich: Wo ist die Arbeit des„Marmorierers“, bei der es sich um die Anbringung von Stuckmarmor gehandelt haben dürfte, denn geblieben ?

 

S. 63 u: …Auch die Figur des Simson als Typus Christi steht in Bezug zur

Auferstehung,insbesondere der Kampf mit dem Löwen wurde traditionell als Überwindung von Tod und Teufel interpretiert.

In Idstein ist allerdings eine andere Deutung des Simson viel näher liegend als die etwas gequälte Interpretation des Löwenbesiegers als  Überwinder von Tod und Teufel. Es ist die bekannte Geschichte, von Simson, dass er mit einem Eselskinnbacken 1000 Philister erschlug (Richter,15, V.15). Die (damaligen)Philister waren „Ungläubige“, und den Kampf gegen die Ungläubigen hatte derGraf in seinem Regierungsprogramm auf der Brüstung seines Kirchenstuhls stehen.Von der Kanzel aus wurde der Kampf gegen die Ungläubigen – und das waren zu dieser Zeit die angeblichen Hexen – auch verbal geführt.

 

S. 64 o: … dass er [Simson] die Kanzel stemmt, könnte in seiner markanten

Aufwärtsbewegung direkt auf die Auferstehungsthematik hinweisen.

Das ist schlicht überinterpretiert. Wie sonst, als mit gebeugtem Rücken und angespanntem Knie soll der Simson denn den Marmorklotz von Kanzel stemmen?

 

S. 67 o: …Zu diesem Zeitpunkt [1671] wurde der vor dem Altarretabel befindliche

sogenannte „Kleine Perspektivaltar“, dessen perspektivische Bogenstellung im Altarunterbau  extravagant gestaltet ist ,errichtet oder umgebaut. Die schriftlichen Quellen geben über diese Arbeiten keinen klaren Aufschluss.

Wenn die schriftlichen Quellen versagen, hilft die Inaugenscheinnahme vor Ort. Danach ergibt sich, dass die Grundplatte des Perspektivaltars an den Stellen, wo sie an die Postamente des Retabels stößt, verkürzt werden musste, damit das Retabel nicht zu weit hinterden Altartisch kam.

Zur Errichtung des „Perspektivaltars“siehe S. 75.

 

S. 67 m : … Der bis dato vorhandene Altar wurde nach Walsdorf verkauft  …[1673]

 Selbst  wenn darüber kein Papier in „seinem “ Archiv vorhanden ist, hätte der Autor die doch wirklich bemerkenswerte Tatsache erwähnen können, dass ca 120 Jahre nach der Reformation noch immer der katholische St. Martins – Altar aus der alten Stiftskirche in der evangelischen Kirche stand (Nass. Annalen. 114 (2003), S.56).

 

S. 69 u / 71 o : …die weitere Ausgestaltung des Kircheninnenraums. Daran muss

auch der Straßburger Münsterbaumeister Johann Georg Heckheler seinen Anteil gehabt haben, indem er unterstützend eingriff, als sich die Baulichkeiten in einer  verfahrenen Situation befanden. Diese … bestand darin, dass die Idsteiner Handwerker mit [der] Gestaltung eines Marmorgewölbes nicht zurande kamen. …Eine genaue Tätigkeit [Heckhelers] ist nicht verbürgt, doch dürfte diese eher marginal zu nennen sein, da die gewünschte Marmorverkleidung des Gewölbes ja ausblieb. …

Auf S. 60 ist sich der Autor noch nicht sicher, wie der Aktenvermerk „das Kirchengewölb vermarmorieren“ auszulegen ist und nimmt schließlich an, dass im Nov. / Dez. 1671 (Datum aus den FN 220 u. 221)  die „Marmorverkleidung der gesamten Kirchendecke“ geplant gewesen sei. Keine vierWochen später – Datum in den FN 257 -259, S.71 – soll der Graf davon überzeugt gewesen sein, dass seine Handwerker mit der Konstruktion des Marmorgewölbes überfordert gewesen sind und er deshalb den Straßburger Münsterbaumeister zur Hilfe gerufen habe.

Hier hat der Autor die Archiv – Nachrichten in der Weise aufbereitet, dass die Verwerfung des (angeblichen) Vorhabens„Grabeskirche“ als „mächtiges Funeralbauwerk“ (S. 61 u) verständlich wird. Es bleibt aber die Frage offen, ob die „Funeral – Planung“ des Grafen jemals realistisch angegangen worden ist, oder nur in der Wunschvorstellung seiner blühenden Fantasie, die er in Briefen auch noch verbreitet hat, eine Rolle gespielt hat. So hätten für eine Ausführung der Kirchendecke als marmornesGewölbe (!!) die Hochschiffwände rechtzeitig ganz andere Dimensionen und auch Verstärkungen erhalten müssen, die sie aber nicht erhalten haben

Der Autor lässt in seiner Interpretation der Archiv – Nachrichten aber außer acht, dass Heckheler in Idstein ein „recht hohes Honorar“ (Einsingbach S. 10) erhalten hat, das  mit der Einschätzung des Autors, HeckhelersTätigkeit in Idstein „sei eher marginal gewesen“ nicht in Einklang zu bringen ist. Liest man die Bau Nachrichten unvoreingenommen, d. h. ohne sie stets auf das Phantom „Funeralbauwerk“  zu beziehen,dann erkennt man eine andere „Wichtigkeit“ (so der Graf), die eine Beratung durch Heckheler erforderlich machte.

 

Es fällt doch auf, dass dem Autor keine Zeile zu der Frage einfällt, wer denn die Planung für den Umbau der ehem.Stiftskirche zu Papier gebracht hat. Dazu hat er in seinem Archiv kein entsprechendes Dokument gefunden.

Aber auch ein fehlendes Papier kann einen Hinweis vermitteln. Deshalb wird  in dem Aufsatz in den Nass. Annalen 114 (2003) das hohe Honorar von 60 Gulden als Indiz dafür angesehen (S. 69), dass Heckheler damit sowohl für die momentane Beratung als auch für die von ihm entworfene Umbauplanung entlohnt wurde. Das ist kein Beweis aber eine besser begründete Annahme als die Annahme der „Untätigkeit“, die der Autor unterstellt.

Den Straßburger Baumeister hatte man, wenn man denn dieses Szenario als wahrscheinlich annimmt, nach Idstein gebeten weil das statische Problem des Gewichts der Emporenbühnen, die vermutlich in seinem ursprünlichen Umbauplan nicht vorgesehen waren, gelöst werden musste: Können die Marmorsäulen, die bereits die Hochschiffwände und die Dachkonstruktion tragen, zusätzlich auch noch  das Gewicht der Emporen aufnehmen oder muss ein anderer Träger installiert werden ?

In dem genannten Aufsatz ist nachzulesen, dass Heckheler sich dafür entschied, die Last auf die Marmorsäulenzu legen. 50 Jahre später war man wieder ängstlicher und stellte Holzstützen (die schönen Palmstämme mit den Blechwedeln) zu den Marmorsäulen und nochmals 225 Jahre später kam man wieder auf die Heckhelerische Lösung zurück.

 

S. 75 o und FN 268:…Gerade die Anfertigung des manieristischen„Kleinen

Perspektivaltars“,der sich nicht recht in die barocke Kunst um 1670 fügen möchte, passt sehr gut in das Kunstverständnis des Grafen Johannes. …

Aus stilistischen Gründen ist es … wahrscheinlich, dass der außergewöhnliche, ja extravagante Altartisch unter dem künstlerisch ambitionierten Grafen Johannes und nicht bereits zuvor entstanden ist. Denkbar wäre eine Entstehung zu Beginn der Umbauarbeiten um 1669/71.

 Der Eintrag im Taufregister (wieso schreibt der Autor „Kirchenrechnung“ ?) 1603 des Idsteiner Kirchenbuchs ist eindeutig (vollst. Zitat in  Nass. Ann. 114 (2003), S. 61 u) und so beweiskräftig wie ein Papier im Wiesbadener Archiv: „…getauft …auf dem neuen Altar“.

Zu den kunsthistorischen Bedenken des Autors bezüglich der frühen Entstehungszeit  muss daran erinnert werden, dass um die fragliche Zeit Pfarrer und Superintendent in Idstein der Magister Tobias Weber gewesen ist, der offenbar ein gebildeter Mensch gewesen ist – wie z. B.der lat. Widmungsspruch an seiner ehem. Scheune in der Idsteiner Obergasse beweist (s. Yvonne Monsees, „Die Inschriften des RGT-Kreises“, WI.1997,S.437,Nr.546). Ihm ist die „Erfindung“ (evtl. auch Stiftung) des Perspektivaltars durchaus zuzutrauen.

Dass der 1603 erwähnte Altar immer noch der ist, der heute dort steht, und dass die vom Autor angenommene Entstehungszeit eben nicht zutrifft, dafür spricht das Fehlen eines Rechnungsbelegs, der in der Zeit des Grafen Johannes – wie andere Kunstobjekte belegen - gewiß ausgestellt worden wäre.

 

S. 75 u:… Joachim v. Sandrart  [schreibt]... um einige Gemälde von dem Leben

unseres Erlösers … zu denen Matthäus Merian d. J. … geraten hatte. …

Es sind nicht alle Briefe in WI vorhanden, die der Graf wegen der Anwerbung von Malern geschrieben hat und in den vorhandenen Briefen hat der Graf zuweilen auch kräftig geblufft. Wenn man sich, wie der Autor es tut, nur auf den Wortlaut der  im HHStAW liegenden Briefe stützt, dann erscheint der Merian tatsächlich als der „Erfinder“ der Idee, Bilder in die Kirche malen zu lassen. Selbst wenn man ihm diese „Grundidee“ zugestehen will,  dann ist es doch noch eine intellektuelle Anstrengung, aus den vielen möglichen Bildern die vorhandene „Bilderdecke“ mit ihrem „raffinierten“ System der Bildanordnung zu erdenken.

Für diese, im Grunde ganz bibelfeste  theologische Arbeit, war Merian wohl nicht so recht gerüstet. Dafür hatte Graf Johannes seinen Hofprediger und Superintendenten  Joh. Phil. Elbert, mit dem er „vor Ort“ die Planung der Bilderdecke entwickeln konnte, ohne „Besprechungsnotizen“ im Archiv hinterlegenzu müssen.

Der Autor hat den Superintendenten Elbert in seinem Buch nur auf S. 41 als Leichenprediger vorgestellt und gesteht ihm auf S. 284 u zu, „das Programm der Kirche mitbestimmt“ zu haben. Diese Einschätzung entspringt vermutlich dem Umstand, dass Elbert keine diesbezüglichen Archivalien im Archiv hinterlassen hat. Das darf aber nicht dazu führen, dass bei einer nur dem Text verhafteten  Auswertung der Briefe des Grafen, Merians oder Sandrarts die aus dem Produkt „Bilderdecke“ abzuleitende Mitwirkung eines Theologen unterschlagen wird. Es ist sogar denkbar und vielleicht sogar wahrscheinlich, dass die ganze Existenz der Bilderdecke vorgängigen theologischen Überlegungen geschuldet ist und nicht malerisch – künstlerischem Dekorationsbedürfnis.

Dem Theologen oblag dann – gemäß seiner Deckenplanung - auch die Auswahl der Bildmotive, eventuell aus der 50 Positionen haltenden Liste (S. 76 – 77), die der Graf dem Lidel geschickt hat damit der wusste, für welche Aufgabe er die geeigneten Maler suchen sollte. Mehr in diese Liste hineinzuspekulieren (S. 77 u) ist nicht angebracht.

 

S. 78 u: …Merian …der die Ausmalung ja überhaupt erst angeregt hatte …

Es gibt keinen Beweis dafür, nur unzuverlässige Annahmen.

 

S. 86 m : … die Vorbildfunktion einer romanischen Kirche wie S. Miniato in

Florenz…[ist] ausgeschlossen, da romanische Architektur insgesamt und der Toskana insbesondere für den deutschsprachigen Raum des 17. Jahrhunderts ausgeschlossen war. …

Diese Regel aus dem Lehrbuch lässt doch wohl auch Ausnahmen von der Regel zu !

Bei der hier in FN 324 angezogenen Literaturstelle geht es zudem nur um die optische Verbindung von Kirchenschiff und höher gelegenem Chor zu einem einheitlichen Kirchenraum, den der Umbau des Sup- Lange 1725 eben nicht geschaffen hat.

 

S. 86 u und 87 : … Die Predigtkirche in einer geschlossenen Gesamtkonzeption

scheint in Idstein  … erst … in der Umgestaltung durch den Sup. Lange (um 1725) angelegt worden zu sein.  … Es ist daher primär davon auszugehen, dass in Idstein schlichtweg die Umformung einer eher unbedeutenden gotischen Kirchenarchitektur unter Berücksichtigung zeitgenössischer Ansprüche und „moderner“ Kunstformen geplant war. …

Die Umgestaltung durch den Sup. Lange betraf vornehmlich den Chor-Raum  und hat an dem Charakter der Predigtkirche eigentlich nichts geändert. Die Aufstellung eines Altars im Kirchenschiff ersetzte nur einen dort stehenden „Betschemel“,an dem früher, und jetzt am Altar, weiterhin die „Catechismus-Predigten“gehalten wurden.  Der Altar wird zeitgenössisch – Kirchenbuch Idstein, Beerdigungen, 4. ,7., 15. Okt. 1737 –  auch weiterhin „Catechismus Altärchen“ genannt.

Was versteht denn der Autor unter„zeitgenössischen Ansprüchen“ – die Emporen ? Sitzplatz für jeden ? – und was unter „modernen Kunstformen“ ? Doch wohl nicht die archaisierenden Bogenstellungen und nicht die Bilderdecke statt der damals überall herrschenden Fresken ?

 

S. 107 o : …Zur Dokumentation stellte das Kunsthistorische Institut der

Universität Marburg auch Fotografien des Kircheninneren her. …

Damals wurden auch alle Bilder s/w invorzüglicher Qualität fotografiert (Prof. Hamann).

 

S. 107 u  … Im Oktober 1931 wurden 18 Deckenbilder wieder … aufgehängt.

Dabei kam die Reihenfolge zwischen Kreuzabnahme und Auferstehung durcheinander. …

Durcheinander oder Richtigstellung ? Über weitere Ortswechsel von Bildern siehe bei der Bildbesprechung Nr. 21 „Auferstehung Christi“, S. 239.

 

S. 109 u : …Durchblick zu dem auf Holz gemalten Kruzifixus …, dessen künstlerische Qualität höchstens als eine durchschnittliche bezeichnet werden kann.

Nach anderen Kunstexperten ist dieTemperamalerei auf Holz von „vorzüglicher“ Qualität.

 

S. 111, FN 439 : … Auch 1981 war eine Fotodokumentation angeregt worden, …die letzte Gesamtdokumentation dürfte daher aus den 1930er Jahren stammen . …

Qualifizierte Amateuraufnahmen hat der Geschichtsverein Idstein (Mitglieder G. u. KH. Schmidt) 1983 / 84 gemacht.

 

 

3.   TEIL  DAS BILDPROGRAMM

 

S. 113 u: … die Problematik bei der Entschlüsselung des ikonographischen Programms  ist u. a. deshalb so heikel, weil keine Vorgaben existieren, in welcher Richtung die Bilder zu lesen sind. Wen eine Hypothese zur Leserichtung erarbeitet…[werden soll], muss die architektonische Gestaltung als Grundlage für eine mögliche Lesbarkeit dienen.

Die „architektonische Gestaltung“ der Kirchendecke, davon redet der Text zuletzt, ist ein Netz von sich rechtwinklig schneidenden Linien, die die Decke in abgegrenzte Bildfelder in Spalten und Zeilen unterteilt, in denen jede Bewegungsrichtung gleichberechtigt ist.

Wenn der Autor mit „architektonischer Gestaltung“ den Raum meint, in dem die Decke hängt, dann folgt das Auge des Betrachters unwillkürlich den längeren geraden Linien in der Länge des Kirchenschiffs, allein schon deshalb, weil zum Sehen der Bilder eine minimale Kopfdrehung ausreicht.

Mit dieser Minimalbewegung haben Kunstkenner, Pfarrer und Gemeinde auch jahrhundertelang auf die Decke gestarrt und es ist ihnen weder etwas ein- noch etwas aufgefallen.

Der Autor erklärt nun dennoch die Lesung in den längs des Kirchenschiffs laufenden Spalten als die bevorzugte Leserichtung weil die größere Zahl und die gesellschaftlich relevante Personengruppe auf den Bänken in den Logen auch längsseits des  Kirchenschiffsgesessen hätte und daher auch „längs“ gesehen hätte.

 

S. 114 o: Von den einzelnen Logen aus, sind jeweils  die beiden unteren Reihen

der Bildprogrammatik nebst den vier Bildern zwischen den Ovalfenstern zu sehen. Die Lesung hat folgerichtig in der Länge des Kirchenschiffs – im Folgenden „vertikal“  -  zu erfolgen .

Abgesehen von der nur vom „Logen“ –Sitzplatz in den beiden  Seitenschiffen abgeleiteten „richtigen“ Leserichtung, was soll die Bezeichnung „vertikal“ ?  Senk- oder Lotrecht, zu welchem Bezugspunkt denn?   

Das was der Autor hier „Logen“ nennt, heißt in Idstein traditionell „Stuhl bzw. „Stühle“, und nur der „Stuhl“ des Grafen wird zuweilen, aber dann immer mit dem Vorwort „Herrschaft“ als Herrschaftsloge bezeichnet. Diese Nomenklatur könnte der Autor ohne Schaden an seiner Deutungskompetenz zu erleiden der Klarheit halber übernehmen.

Ebenso wäre es der besseren Kommunikation mit dem Leser dienlich, wenn der Autor die Bilderreihen längs oder parallel des Kirchenschiffs, wie schon anderweitig geschehen, als „Spalten“ , und die quer über das Kirchenschiff gehenden als „Zeilen“ bezeichnen würde.

Der Autor schreibt, dass in den Stühlen – verglichen mit den beiden verglasten „Logen“, der Herrschaftsloge und der „Loge“ der Räte - die größere Anzahl von Gottesdienstbesuchern gesessen habe. 3 Seiten weiter (S. 117) druckt er einen Bestuhlungsplan für das Erdgeschoss ab, nach dem dort 217 Sitzplätze für nicht privilegierte Besucher quer (!) zum Kirchenschiff vorhanden waren und  55 für die privilegierten Besucher längs des Kirchenschiffs.  Etwa gleichviel Plätze werden nochmals auf den Emporen gewesen sein. Damit hatten ca. 400 der ca. 500 Kirchenbesucher nicht die Möglichkeit, die Bilder in der nach Pons „richtigen“ Reihenfolge zu lesen.

Worin soll der tiefere Sinn  dieser „Unverstehbarkeit“ gelegen haben und  was denn genau gibt es denn zu lesen, wenn man der Lesevorschrift des Autors folgt?

Es gibt schöne Bilder zu sehen aber keinen unmittelbar zu erkennenden Sinn – Zusammenhang  zu  l e s e n, genau wie in den Jahrhunderten zuvor !

 

Ohne  Erklärung bleibt zudem  der Befund, dass der Autor im zweiten Teil seines Buches die Bilder der Bilderdecke trotzdem in den „Zeilen“ quer zum Kirchenschiff bespricht. Was er auf S. 113 u noch „mit größter Sicherheit“ ausschliesst, „eine „horizontale“ Leserichtung quer zum Kirchenschiff … weil diese der Wahrnehmung des Publikums entgegen gelaufen wäre“, wird bei den Bildbesprechungen ab S. 136 zur Regel. 

 

S. 114 u : …Die bisherige Überlieferung, dass  das Kirchenschiff leer von Menschen gewesen sei, wie es die banklose Gestaltung auf einem Kupferstich des frühen 18. Jh. überliefert, ist als irrig einzustufen und geht auf die Darstellung des Kircheninnenraums nach oder bei dem Umbau 1725 zurück. Breits 1676 stellte der Schreiner Kohl eine Bank für das Kirchenschiff in Rechnung. Nachweislich wurden erst um 1724 die Frauenstühle aus dem Kirchenschiff transportiert, um den freien Prospekt des inneren Kirchenplatzes (arena templi) herzustellen.

Der vom Autor als „irrige“ Darstellung klassifizierte Kupferstich (Abb. S. 115) geht auf eine Zeichnung von 1703 zurück, siehe Nass. Ann. 121 (2010), S. 74, FN 3. Der Stich zeigt Einrichtungen im Innenraum, die gewiss nicht vorhanden waren, wie das große Wappenschild am Triumpfbogen, aber auch Einrichtungen, die gewiss vorhanden waren, wie z. B.den dreistufigen „Stuhl“ am östlichen Ende des südlichen Seitenschiffs, bestimmt für die Schüler des Gymnasiums. Der ist auch auf dem Grundriß eingezeichnet,der auf S. 114 o abgedruckt  ist.  Dieser Grundriss zeigt aber, wie der Kupferstich auch, das „leere“ Mittelschiff. Dass in diesem Mittelschiff zu gewissen Zeiten eine Bank (Kohl, 1676) oder eine Gruppe von Bänken (Struck, S. 413, nennt 6 Reihen zu je 10 Plätzen) als Frauenstuhl gestanden haben, bezeugt die intensive Nutzung des Raumes als Kirche, spricht aber nicht gegen die angestrebte, und praktisch bis zum 1.Weltkrieg auch durchgehaltene Gestaltung der Kirche mit einem  freien Innenraum. Siehe die Grundrisszeichnung des Architekten L. Hofmann von 1911 auf S.104.

„Irrig“ ist demnach die Meinung des Autors, nicht die Überlieferung.

 

S. 115 o : … der um einige Stufen erhöhte Chor mit dem zurückgesetzten Altarretabel  [war] für einen protestantischen Gottesdienst unbrauchbar und [erhielt] durch  die Umgestaltung des Maximilian von Welsch den Charakter einer abgeschlossenen Grabkapelle … . In die Mitte des Kirchenraums wurde ein gesonderter Altar gestellt, der den Sakralraum erst jetzt zur Predigtkirche werden ließ.

Der Chor lag durch die 6 Treppenstufen zwar über dem Niveau des Kirchenschiffs , war aber wegen des dort stehenden „Haupt“ – Altars immer Teil des gottesdienstlichen Raumes an dem das Abendmahl empfangen wurde. An dem von dem Superintendenten Lange im Kirchenschiff 1731 aufgestellten brocken Altar wurde kein Abendmahl ausgeteilt, er ersetzte einen dort stehenden „Betschemel“, an dem die 2. Sonntagspredigt, die„Catechismuspredigt“ gehalten wurde, und hieß deshalb auch „Catechismusaltärchen“.

 Die Meinung des Autors, erst durch diesen Altar (minderen Ranges) sei eine „Predigtkirche“ entstanden, verkennt die gottesdienstlichen Funktionen der einzelnen Teile des Gesamtraumes und ist daher zu verwerfen.

Ob es allein der Einfluss des Maximilian v. Welsch gewesen ist, der dem Chorraum den Charakter einer„anderen“ Kirche gegeben hat, müsste noch gesondert nachgewiesen werden. Jedenfalls hat der Superintendent Lange großen Anteil daran, dass der Chor als eigenständiges , nicht unbedingt als Funeralarchitektur erkennbares  Bauteil dem Kirchenschiff gegenüber tritt.

 

S. 115, FN 449 : …Auf der Zeichnung von 1725 ist an der Nordwand des Chores eine architektonische Gestaltung zu erkennen, bei der es sich um das Grabmal [des Grafen Johannes] handeln könnte. Dies würde bedeuten, dass das Grab erst nach 1725 an die Stirnseite des Chores verlegt wurde.

Nicht das Grab wurde verlegt, nur das Grabmal. Näheres dazu in Nass. Annalen 121 (2010), S.73 / 74, FN 7, und oben bei S. 50.

 

S. 115 u und 117 : … ist zu fragen, ob die …bislang übliche hierarchische Einteilung der Sitzgelegenheiten im Kirchenraum aufrecht erhalten werden kann. … 1725 werden aufgezählt  Rats-, Sekretärs-, Gerichts-, Vorsteher-. und Bürgerstuhl. Diese prinzipiell als gegeben hingenommene Strukturierung wirft einige Fragen auf, die in der Forschung bisher nicht gestellt wurden. Allein der Hinweis Bickhards, er habe 30 Medaillons für den Bürgerstuhl geschaffen, bringt die These schwer ins Wanken. …

Der Autor ergeht sich lang und breit über die Anzahl der Medaillons, die der Maler insgesamt und „umb die Bürgerbien außwendig herumb“ gemalt hat und spekuliert über die Auslegung des mundartlichen Ausdrucks „außwendig herumb“. Er folgert auf einen Bauteil (Bühne), um die man herumgehen könne, dabei bedeutet der Ausdruck nicht mehr als „um die Ecke herum“.  Was bei der Form des Bürgerstuhls als Endstück der Emporenreihe zutrifft.

Die in der „Forschung bisher nicht gestellte Frage“ wird auch vom Autor nicht gestellt, damit bleibt es bei der von der Grafenloge zur Bürgerbühne absteigenden Rangfolge der „Stühle“ aber mit einer vom Autor nicht bemerkten und nicht kommentierten bemerkenswerten Gegenüberstellung der gesellschaftlichen Schichten.

 

S. 123 o : … Wo der aus 40 Personen bestehende Hofstaat … in der kleinteiligen

Strukturierung der Kirchenstühle in Idstein bei maximal 272 Sitzplätzen hätte seinen Platzfinden können, ist nicht überliefert.

Die genannten 272 Sitzplätze sind die allein im EG vorhandenen Plätze (siehe Sitzplanskizze S. 117 und oben bei S. 114) .Auf den Emporen dürfte nochmals etwa die gleiche Anzahl vorhanden gewesen sein. Der Autor macht sich unnötige Sorgen.

 

S. 125 o : … Die bisherige, aus der Überlieferung des 18. Jh. übernommene

 Bezeichnung der verschiedenen Logen (besser „Stühle“) ist … nicht ohne Bedenken zu übernehmen. Sie dürfte im Nachhinein bei der Umgestaltung in den 1720er Jahren entstanden sein. Auf wen sich die Aufschriften der Brüstungen beziehen, bleibt deshalb unklar.

Bisher haben alle Beschreibungen der Kirche die Aufschriften an den Brüstungen als Kennzeichnung der dahinter sitzenden Personen verstanden. Die Benennungen sind eigentlich auch unmissverständlich. Bei welcher „Umgestaltung“ in den 1720er Jahren die Brüstungsplatten mit den Inschriften hin und her geschoben worden sein sollen, muss der Autor noch erläutern.

 

S. 125 o: … Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Lesbarkeit der Kirchendecke aus den seitlichen Logen die Primäranforderung gewesen sein muss. Denn dort saßen die meisten und vor allem die vornehmsten Besucher der Kirche. Auf diese Weise sind zwei Zyklen des biblischen Geschehens … ohne größere Probleme von Ost nach West zu lesen, weil sie in fast völlig akkurater chronologischer Reihenfolge angebracht sind.

Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass die Erfinder oder Erdenker der Bilderdecke ihren Besuchern / Betrachtern eine Katechismuslektion in neutestamentlicher Chronologie  als den Gewinn eines Kirchenbesuches mit auf den Nachhauseweg geben wollten. Deshalb ist es keine „Primärforderung“, dass die Kirchendecke von den Seitenlogen aus gelesen werden muss. Zumal dort – entgegen der Behauptung  des Autors – eben nicht die meisten Kirchenbesucher gesessen haben und  die „vornehmsten“ Besucherauch nicht überall, z. B. nicht im „Bürgerstuhl“.

Es bleibt dabei, die Substanz der Kirchendecke offenbart sich beim Lesen der Bild – Zeilen !

 

S. 125 u : …die Porträtköpfe der Apostel …Kopien nach van Dycks Apostelzyklus, … Attribute häufig ausgelassen … Identifizierung nur mit Hilfe des Vergleichs mit van Dycks Vorlage möglich. …die Zuordnung der einzelnen Apostel zu den Ereignissen an der Bilddecke [ist] dermaßen willkürlich, ja an manchen Stellen regelrecht sinnwidrig vorgenommen worden …

Die Apostelköpfe sind Kopien der Kupferstichfolge, die C. van Caukercken von „Porträts“ (um 1660) gestochen hat, die Anthonis van Dyck(1615/16 oder 1620/21) gemalt hat. Wann die Apostelköpfe in die Kirche gemalt worden sind und von wem, darüber gibt es keine archivalischen Hinweise. Auf der Innenansicht von 1703 sind sie schon zu sehen.

Der Autor veröffentlicht auf  Seite 126 die Apostel auf der Südwand, von der Kanzel bis zur Orgel, und auf Seite 127 die Apostel auf der Nordwand von der Orgel bis zum Taufstein , mit den Namen, die van Caukercken den Apostelköpfen gegeben hat – und die sich in den nachfolgenden Jahrhunderten, trotz bekannter Mängel, eingebürgert haben. Denn diese Namen entsprechen in einigen Fällen nicht den aus den traditionellen Attributen abzuleitenden Namen.

 

In dem Führungsblatt, das seit 2005 in der Unionskirche ausliegt, sind die Namen der Apostel nach ihrem traditionellen Attribut identifiziert und aufgeführt. Abweichend von der Aufstellung S 126/7 werden auf der Südseite Judas Thaddäus wegen des Attributs Winkeleisen als Thomas, auf der Nordseite der Thomas wegen Buch und Zollstab als Matthäus, und Matthäus wegen Attribut Hellebarde als Judas Thaddäus benannt.

 

Der Ort, an dem die Apostelköpfe inder Kirche angebracht sind, und der dem Autor in einigen Fällen wegen nach seiner Deutung fehlendem oder falschem Bezug zu den Bildern der Kirchendecke „regelrecht sinnwidrig“ vorkommt, ist offenbar gelegentlich geändert worden. So zeigen Fotos aus den Jahren  vor 1930 das Bildpaar Andreas (mit dem Andreaskreuz) und Jcobus major (mit dem Wanderstab)unter den Wandbildern der Anbetung der Könige und der Hochzeit zu Kana. Seit 1930 haben sie ihren Platz mit dem Bildpaar weiter westlich, Thomas (od. Judas Thaddäus mit dem Winkeleisen) und Simon (mit Säge) getauscht und stehen nun (sinnreicher ?) unter der Handwaschung des Pilatus und dem Emmausgang (siehe Foto S. 130/131).

Ob es weitere Vertauschungen gab, ist wegen fehlendem Bildmaterial nicht festzustellen.

 

Im Zusammenhang mit der auffälligeren Vertauschung in der Mittelspalte, Auferstehung vor Kreuzabnahme, die auch 1930 geschehen ist, stellt sich die Frage, ob die damaligen Restauratoren sich nicht doch etwas dabei gedacht haben.

 

 

4.   TEIL   DIE GEMÄLDE

 

Im Vorspann zu den eigentlichen Bildbesprechungen erläutert der Autor auf S. 129 u. 132 in welcher Reihenfolge er die Bilder besprechen will :

„Ausgehend vom jeweiligen Mittelbild, werden zunächst die zugeordneten Gemälde auf der nördlichen, dann auf der südlichen Seite besprochen. Diese Strukturierung ist nicht zwingend, stellt aber einen Kompromiss zwischen Lesbarkeit in der Kirche und Nachvollziehbarkeit  durch den Leser des Buches dar.“

Mit dieser Festlegung revidiert der Autor seine Ansicht der „privilegierten Leserichtung“ in den „Spalten“ längs des Kirchenschiffs und liest in den Zeilen, angeblich allerdings in den Halbzeilen Nord und Süd, unterwirft aber beide Hemisphären dem Diktum der Spenerschen Stufen des Weges zur Vollkommenheit. Wie mühsam diese Unterordnung abzuleiten ist, und wie wenig sie in vielen Fällen überzeugt, wird bei den Einzelbesprechungen gezeigt.

 

Den (vorzüglichen !) Abbildungen beigegeben sind Zitate aus Luthers Bibelübersetzung, die sich immer auf die Stelle beziehen, die auf dem Deckenplan im HHStAW angeführt wird.

„Das ist auch dann der Fall, wenn eine vergleichbare Bibelstelle aus einem anderen Evangelium die Darstellung besser beschreiben könnte.“ (S.132)

In dem genannten Deckenplan sind an einigen Stellen Bibelstellen angeschrieben, die mit dem angegebenen Bildthema nicht übereinstimmen.

So wird im Plan angegeben für das Bildthema „kanaanäisches Weib“ die Belegstelle „Luc. 11“. Die Geschichte von der um eine Heilung ihrer Tochter flehenden Frau wird aber von Lukas gar nicht erzählt und an der im Plan angegebenen Evangelienstelle stehen das „Vater Unser“, eine Teufelsaustreibung  und Worte Jesu gegen Pharisäer und Schriftgelehrte. Bei dem Bild der kanaanäischen Frau hat der Autor dann zwar die richtige Belegstelle, Mt. 15, 21 – 38 angegeben, was soll also denn der Hinweis auf Deckenplan und vergleichbare Bibelstelle ?

 

Bei der Darstellung der „Auferstehung“ steht im Deckenplan „Mark. 16“. Es wird aber in keinem Evangelium der Vorgang der Auferstehung geschildert  Richtig hat der Autor dem Bild „Auferstehung“ auch keine Textstelle beigegeben (S. 238/9). In Mark. 16 sind die Begegnung des Auferstandenen mit Maria Magdalena und anderen Frauen beschrieben, die Gegenstand des „Noli me tangere“- Bildes mit Jesus und Maria Magdalena sind. Wiederum ist zu fragen, was will der Autor mit seinem Hinweis auf Deckenplan und vergleichbare Bibelstellen eigentlich ausdrücken ?

 

Wegen der aufgezeigten Ungewißheit, wie der Autor Plan, Bibelstelle und Gemälde inhaltlich zueinander bringen will, wäre eine Untersuchung, wie sie in dem Annalen Aufsatz von 1987 vorgelegt wurde, für das Verständnis  des Kirchenbaus, und besonders dem Selbstverständnis des Bauherrn und dessen theologischer Ausrichtung von Nutzen. In dieser Arbeit , in der die zutreffenden Texte den entsprechenden Bildern zugeordnet werden, erweist sich nämlich, dass die Mehrzahl der Bilder Bezug nimmt auf den Text in nur einem Evangelium, dem Johannes Evangelium.

Von 22 Gemälden, deren Bildthemen im Johannes Evangelium überhaupt vorkommen können, sind 14 tatsächlich in den Bildern vorhanden und davon zeigen wiederum 6 Details, die nur bei Johannes erwähnt werden.

Es lässt sich also eine deutliche Bevorzugung des Johannes Textes für die Bilderfindungen ausmachen, die sicherlich (und andere, ähnliche Befunde bestätigen die Vermutung) auf eine gefühlsmäßige Identifikation des Bauherrn mit dem Apostel hinweist.

 

 

Bild 1, Altarbild, Letztes Abendmahl          (S. 136)

 

Die Methode, die Bilder mit den in Frage kommenden Bibeltexten abzugleichen, führt bei dem Altarbild zur Frage: Wieviel Apostel nehmen an dem Abendessen teil ? In der linken Bildhälfte (=rechts von Jesus) sind 6 Köpfe zu zählen. Auf Jesu linker Seite (= rechte Bildhälfte) sind nur 4 zweifelsfrei erkennbar, ein weiterer Kopf ist auf den Tisch gesunken (Mann mit rotem Oberteil). Daneben eine sandfarbene Kopfbedeckung über einem schwarzen Überrock. Steckt da ein weiterer Apostel drin oder gehört es zu dem Apostel, der mit dem Kopf auf demTisch liegt ?  In diesem Fall wären nur11 Apostel hier versammelt, Judas Ischariot wäre – gemäss Johannes 13,30 – schon gegangen.

Mögliche Interpretation: Jedes Gemeindeglied,das hier antritt, das Abendmahl zu empfangen, ist aufgefordert, das Apostelkollegium wieder zu vervollständigen, selbst Apostel zu werden.

Dass in der Längsrichtung des Abendmahltisches in dem Bild die Sitzordnung für Pfarrer und Gemeinde in der Kirche vorgegeben werde, scheint mir eine sehr einfache Deutung, und dass die Reihenfolge der Apostelbildnisse in den Zwickeln der Marmorbögen auf der Nord-und der Südseite nicht mit der Sitzordnung am Abendmahltisch  übereinstimme, kann ich wegen fehlender Attribute nicht nachvollziehen (S. 141 u).

Die Bezüge, die der Autor zwischen Altarbild und Loge des Grafen oder zur Kanzel knüpft (S. 142 o), sind Überinterpretationen des heutigen, gelehrten Betrachters. Für die damalige Gemeinde waren Altarbild, Altar und Ort des Abendmahls eine gewohnte und selbstverständliche Einheit ohne theologische Spitzfindigkeiten.

In FN 479 auf S.136 zitiert der Autor eine Bauanweisung des Bauherrn, der im Mai 1673 schon von „hiesiger Statt-Kirch“ spricht und nicht von „Martinskirche“, wie der Autor noch 2013.

Die Aufschrift  „JESU  CHRISTO VICTORI“  auf dem Querbalken des Retabels ist mit Planänderungen in 1673 über die Gestaltung des Retabels nicht in Verbindung zu bringen, die Inschrift entstand erst unter Sup.-Intendent Lange um 1725, und nimmt  Bezug auf die Lange´sche „Installation“: Kreuz hinter Triumphbogen.

 

 

 

ERSTE  ZEILE  :  Zeugenschaft von der Menschwerdung Gottes            (S.143)

 

BILD 2 :              Verklärung Christi  (S. 144)

 

Der Autor sieht in diesem visionären Bild  nach klassisch theologischer Interpretation die Darstellung des „Neuen Bundes“. Als einziges weiteres, eine Vision zeigendes  Bild in dieser Mittelspalte verweist der Autor auf das Mittelbild der 6. Zeile, „Johannes auf dem ´Berg´ Patmos“, aus dem er – etwas sehr gewunden – die „Hoffnung verheißende Botschaft mit Blick auf die göttliche Gnade“ herausliest.

Einfacher und auch einleuchtender wäre, den Bildinhalten die Worte zu entnehmen, die die Bibel zu den gezeigten Situationen überliefert:  „Dies ist mein lieber Sohn, … , den sollt ihr hören“ (Matth. 17, 5 ) für die „Verklärung“und  „Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre, denn die Zeit seines Gerichts ist gekommen ! Und betet den an, der gemacht hat Himmel und Erde und Meer und die Wasserbrunnen.“ (Off. 14,  7 ) für das Apokalypsebild.

Mit diesen, den Bildern leicht zu assoziierenden  Bibelversen, erhält die Bilderdecke eine  klare Aufgabe und ein klares Ziel und verschwimmt nicht im diffusen theologischen Nebel eifriger Exegeten.

 

                                                          

BILD  3:                Heimsuchung Mariens  (S. 148)

 

Abgesehen von Anspielungen auf das Nebengeschehen im Bild, dem stummen weil ungläubigen Zacharias, dem roten Papagei, nach dem Autor ein Zeichen für Eitelkeit und Unglauben, nach anderenSymboldeutern ein Mariensymbol und Symbol der Jungfräulichkeit, fällt vor allem die  lasttragende Magd auf, für die der Autor ein - bescheidenes -  Vorbild in einem Rubens Gemälde der gleichen Thematik gefunden hat (S. 150).

Für die Bilddeutung maßgeblich sind die Worte Elisabeths : „Und selig bist du, die du geglaubt hast. Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn“ (Luk. 1, 45).

Damit folgt das Bild thematisch und chronologisch der „Verkündigung“ und geht der „Geburt“ = Anbetung der Hirten voraus. Es kann damit dem Spenerschen Zeilentitel „von der Menschwerdung Gottes“ subsummiert werden, es kann aber auch der Erfüllung einer Verheißung (Kommen des Messias) zugeordnet werden.

Der Autor sieht das Bild als Allegorie des Glaubens und des Unglaubens.

 

BILD  4 :              Verkündigung Mariens…..(S. 148)

 

Der Autor sieht in dem Platz in der ersten (= nördlichen) Spalte der ersten Zeile den „direkten Bezug“ gegeben „zur gegenüberliegenden Kanzel“ (die etwa unter der (südlichen) 5. Spalte der erstenZeile steht), weil beide von Verkündigung handeln, und das Bild gegenüber der Kanzel, als dem eigentlichen Verkündigungsort der Kirche, „am besten aufgehoben“  sei.

 Außerdem sei, wie im Bild, auch bei der Kanzel  ein Engel zu sehen, der dort den Schalldeckel hält.

Das sind beides doch etwas dünne Begründungen.

Natürlich gehört die „Verkündigung“ an den ersten Platz einer Bildfolge, die  auch die Chronologie bedenken will und diese muss irgendwo an der Decke anfangen. Dass sie in Zeile 1, Spalte 1 anfängt, ist begründet damit, dass die „Erfinder“der Decke diese wie eine Druckseite eingerichtet haben, die auch so gelesen werden soll: Von links nach rechts und von oben (Altar) nach unten (Orgel).

Die Mitteilung des Bildes sind die Worte des Engels: „Siehe du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heißen. …“ (Lk.1, 31) .

Damit kann es – wie das Bild 3 auch –sowohl unter den Spenerschen Zeilentitel „von der Menschwerdung Gottes“ als auch unter den eine Erwartung ausdrückenden Titel „Jesus, der verheißenenChristus“  eingestellt werden.

 

Bild 7  :               BeschneidungChristi     (S. 162)

 

Wegen verschiedener “Zutaten“erscheint das Bild dem Autor eher katholischen Bildtraditionen  zu entsprechen, was ihn verwundert, denn „solche Denkweisen stehen in krassem Gegensatz zu sonstigen Äußerungen des Grafen, der den Katholizismus aufs Heftigste attackierte und gerade die marianischen Elemente als Teufelswerk verdammte.“

Als Beleg führt der Autor einen der Briefe an, die der Graf voller Zorn an seinen Sohn Gustav Adolf geschrieben hat, als dieser konvertiert hatte. Das war ca. 20 Jahre bevor das Bild gemalt worden ist. und der damalige Zorn wird zwischenzeitlich verraucht  sein.. Aus der Zeit, als das Bild gemalt worden ist , kann der Autor offenbar keine Belegstelle für Anti-Katholizismus vorzeigen. Er kommt offenbar auch nicht auf die Idee, dass ein Mensch in 20 Jahren seine Meinung und Ansichten ändern kann. Jedenfalls ist es unseriös, dem Grafen keine Wandlungsfähigkeit zuzubilligen und ihm alte Zornausbrüche 20  Jahre lang als beständige Meinung anzuhängen.

Der Mochel „schaut geistesabwesend aus dem Bild hinaus“. In dieser Haltung könnte – so meint der Autor – sich auch eine sonst in diesem Bildzyklus erkennbare antijüdischen Tendenz zeigen (S. 164 u).  Auf die hier bemerkte antijüdische Tendenz wird allerdings später nicht mehr hingewiesen. „Bildthematische Ähnlichkeiten seien zu der Figur des Joseph in der Heimsuchung zu erkennen, der ebenfalls am eigentlichen Wunder vorbeischaut“ (S. 164 u). Vermutlich ist der Zacharias gemeint, denn der Joseph ist auf der Heimsuchung (Bild 3) gar nicht dabei.

Der Autor wundert sich (S. 165 o),dass in der Bilderdecke sowohl die „Beschneidung“ als auch die „Darbringung im Tempel“ als Bild vorhanden sind, da in beiden die Namensgebung Jesu thematisiert werde. Er sieht jedoch, „durch die Anbringung beider Szenen zu beiden Seiten des Kirchenschiffs … diese vermeintliche Doppelung jedoch abgemildert“. Dass die beiden Bilder, außer dass sie in verschiedenen Spalten auch noch in verschiedenen Zeilen stehen, bringt den Autor nicht auf die Idee, dass die Bildbedeutungen / Bildaussagen jenseits des gemeinsamen Themas „Namensgebung“ zu suchen sind. „Jesus offenbart sich im Akt der Beschneidung vor den Gläubigen als Gottkönig…“ (S. 165, u) – wenn das Bild denn tatsächlich diese Erkenntnis hergibt, dann steht es unter der Zeilenüberschrift „Menschwerdung Gottes“ richtig.

 

Bild  8  :  Bekehrung des Saulus           (S. 166)

 

Das Bild hat sicherlich bei dem Chorausbau gelitten indem es an der Seite des Chorbogens (links am Bild) und möglicherweise am Ovalfensterausschnitt  seinerzeit beschnitten worden ist.

Der Autor mag das Bild nicht und wirft Immenraedt seine „Hauptschwächen“ vor (S. 166 u., und FN  563) : „Mangel an Kompositionsgeschick und strukturiertem Bildaufbau“. Im Vergleich zu einem Rubens – Bild zum gleichenThema auf S.168, liegen bei  Immenraedt nicht mehr Personen am Boden als bei Rubens und Immenraedt hat keine Pferde im Bild, die in der Apostelgeschichte auch nicht vorkommen.

Immenraedt lässt die Szene bei annäherndem Tageslicht geschehen, Rubens in gewitterdunkler Nacht, in der die Saulus – Truppe seinerzeit bestimmt nicht unterwegs war. In Idstein spielt sich die Szene in einer lieblichen, wenn der Furor wieder vorbei ist, Ruhe versprechenden Landschaft ab, bei Rubens ist die Gruppe in einer„Wolfsschlucht“ unterwegs.

Mir gefällt das Immenraedt – Bild besser als der Rubens mit seinen wild  flatternden Kleidungstüchern, Bewegung vortäuschend wo gar keine ist.

 

ZWEITE ZEILE : Eintritt in den Glauben           (S. 169)

 

Bild 9  :  Kreuzaufrichtung   (S. 170)

 

In der „Bewegung der Aufrichtung “erkennt der Autor einen „typologischen Bezug zu den anderen Bildern in der gleichen Querreihe“ [besser: Zeile]. Durch die Aufrichtung Jesu am Kreuz werde er in seiner Funktion als Messias erkennbar, „wie auch in den anderen Bildern [dieser Zeile] die Epiphanie des Heilands offenkundig“ werde.  Ich habe Zweifel, dass bei der Betrachtung  z.B. „der Anbetung der Könige“ oder bei „der Darbringung im Tempel“ sich ähnliche Assoziationen bei den Besuchern einstellen.

Die Interpretation der beiden Bilder „Kreuzaufrichtung“ als „Darbringung des Leibes Christi“ und „Kreuzabnahme“ als„Darreichung“ – analog der Behandlung des Kelches in der röm. Messe – ist eine interessante Variante, aber vornehmlich für ein  Universitäts-Seminar.

 

Bild  10 :  Der zwölfjährige Jesus imTempel     (S. 174)

 

Der Autor sieht das Bild „in der Reihe der Zeugenschaften von der Ankunft Christ“ (S. 177u). Die Zuhörer im Tempel   „öffnen“ sich aber nicht dem erschienen Messias sondern „ihre opulenten Kleidungsstücke sind Zeichen ihrer vom Kern des Heils unempfänglichen Haltung“ – meint der Autor.

Wer tritt hier„in den Glauben“ ein, wie es die Zeilenüberschrift ansagt ?

 

Bild  11 :  Darbringung im Tempel   (S. 178)

 

In dem figurenreichen Bild fällt der mit weißem Umhang bekleidete Simeon als zentrale Figur auf. Trotz seiner „opulenten Kleidung“ (siehe bei Bild 10) hat er in dem Täufling den Heiland erkannt und spricht es auch aus (Lk., 2, 29 – 32).

Mit den 2 Opfertäubchen und dem dabei stehenden Lamm soll auf den Opfertod Christi hingewiesen werden. „Das Bild verklammert die Geburt und den Kreuzestod Christiaufs engste“.   „Eintritt“ in den Glauben?   Mit etwas Verbiegung – vielleicht.

 

Bild  12 :  Flucht nach Ägypten   (S. 182)

 

Der Josef hat natürlich Säge und Bohrer seines Zimmermann – Berufes im Korb, kein Schuhmacherwerkzeug (S. 182, m). Er schreitet rüstig aus, während der Esel, auf dem Maria mit dem Kind sitzt, bei verhaltenem Schritt die Ohren spitzt, wann denn die Fütterung des kleinen Jesus  vorbei ist..

Die mit großen Bauten imponierende Stadt auf der rechten Bildhälfte muss der Ausgangspunkt  der Flucht sein, weil Maria und Josef ihr den Rücken zukehren. Sie haben die Stadt im frühen Morgengrauen verlassen, jetzt, da sie eine erste Rast einlegen, liegt die Stadt immer noch im Dämmerlicht vor Sonnenaufgang.

Die Bezüge zu anderen Bildern der Decke, die der Autor alle hervorzieht, halte ich für nicht zwingend : Ein ähnlicher Esel beim Einzug in Jerusalem im nächsten Bild dieser Spalte, im gegenüber liegenden Bild der gleichen Zeile der Versucher, der Steine reicht, während hier 2 Putten einen Obstkorb herbeischleppen. Schließlich sei das Stillen des Jesusknaben ein Verweis auf die Eucharistie, die der Autor in den nächsten beiden Zeilen behandelt sieht.

 

 

Bild 13  : Taufe Christi   (S. 186)

 

Bild 14  :  Anbetung der Heiligen Drei Könige (S. 190)

 

Es ist eine ganze Reihe anderer Bilder, z. T.das gleiche Thema darstellend, aus denen Figuren in das Idsteiner Bild übernommen worden sind. Davon sind im Buch abgebildet ein Immenraedt –Bild aus dem Xantener Dom (S. 192), Anbetungsbilder von Rubens auf S. 190 u.193, und eine antike Szene S. 194.

Nicht für alle übernommenen, auch nicht für ausgelassene Figuren kann der Autor eine hinreichende und begründete Deutung anbieten. Warum fehlt z. B. in Idstein der Vertreter des schwarzen Erdteils, den Immenraedt in seinem Xantener Bild  noch so deutlich in der Dreiergruppe der Könige dargestellt hat ? Dieses Bild zeigt im Hintergrund auch eine Reihe von „Turbanträgern“, die auch im Rubensschen Mechelner Altarbild (S. 193) den Hintergrund bevölkern.  In Idstein sind alle diese vermutlichen  „Moslembrüder“  nicht vertreten.

Hat hier der Graf interveniert und sie von der Anbetung ausgeschlossen, weil sie seinen Sohn Gustav Adolph 1664 in der Schlacht bei St. Gotthard in Ungarn getötet haben ? Ist der „jüngste der drei [Könige] mit langem braunem Haar“ dem der Autor „deutliche Porträtzüge“ attestiert, vielleicht der tote Sohn  (s.S. 197) ?

Und der Ritter im schwarzen Harnisch , der sich auf einen „Marschallstab stützt“, ist zwar aus einem Rubens-Gemälde übernommen, vertritt er aber hier nicht vielleicht die Stelle, des in genannter Schlacht kommandierenden Grafen Raimund Montecuccoli ? (Der in zeitgenössischen Abbildungen allerdings keinen Kinnbart trägt.) Es bleibt rätselhaft !

 

Bild 15  :  Versuchung Christi   (S. 198)

 

Den Versucher – Teufel als Mönch darzustellen, sei angeblich im 17. Jh. im protestantischen Raum nicht ungewöhnlich. Der Autor knüpft dennoch im Falle Idstein weitreichende Folgerungen an diese Darstellung, z. B. die, dass deshalb dem „z. T. katholisch anmutenden Bildprogramm keine pro-katholische oder auch nur [eine] irenische Grundhaltungzu eigen gewesen“ sein könne, und dass der „Wunsch  zu dieser Darstellung [des Teufels als kath.Mönch] in Idstein erwachsen sein muss“ (S. 198,o) weil „Graf Johannes im Zusammenhang mit der Konversion seines Sohnes Gustav Adolf eine massiv antikatholische Haltung bezogen hatte.“

Mit dieser Argumentation erliegt derAutor wiederum der Suggestion der archivalisch – schriftlichen  Überlieferung „seines“ Archivs und billigt dem Grafen keine innere Entwicklung zu. Die Konversion des Sohnes war 1653.geschehen.Wie jetzt, ca.  20 Jahre danach und nach ca. 18 jähriger Zusammenarbeit mit seinem Superintendenten (seit 1655) JohannPhilipp Elbert die „antikatholische“ oder die „irenische“ Einstellung des Grafen war, ist im Archiv nicht überliefert. Jedoch spricht die Tolerierung katholischer Zuwanderer in seine Grafschaft zumindest nicht für eine „massiv antikatholische“ Haltung  und Elbert  zählte zur „Gemeinschaft der Heiligen“: „Alle wahren Christen … haben unter sich eine geistliche Brüderschaft und Gemeinschaft des Glaubens, der Liebe, der Sacramente, Vergebung der Sünden und aller geistlichen Güter, auch der Hoffnung zu der himmlischen Erbschaft. Wird auch genannt Gemeinschaft am  Evangelio.“(zitiert nach K. G. Goebel, S. 63.  Die in FN 606 genannte Seitenzahl 164 ist offensichtlich irrig.)

Wie aus der Interpretation eines Bildes irritierende Aussagen über die Geisteshaltung des Grafen oder seines Superintendenten abgeleitet werden können, ergibt sich bei der Gegenüberstellung dieser „Versuchung“ mit dem Bild vom „Fischzug Petri“ (Bild37, S. 395). Während in der „Versuchung“ der (angeblich) antikatholische Affekt in der leicht interpretierbaren Darstellung des Teufels als Mönch gesehen wird, bleibt die katholische, ja sogar „papistische“ Aussage in „Petri Fischzug“ in der bewegten See – Szene nahezu verborgen: Die Dreifache Berufung Petri zum Hirtenamt: „Weide meine Schafe“ (Joh. 21, 15 ff.). War der Graf heimlich katholisch ?

Die Darstellung der Versuchung folgt ansonsten dem Bibeltext, Mt. 4, 1 – 4, und es ist deshalb aus der Darreichung von Steinen, die der Herr in Brot verwandeln soll, kein antikatholischer Affekt abzuleiten.

 

DRITTE ZEILE  :  ABENDMAHL     (S. 201)

 

Bild  16  :  Kreuzabnahme  (S. 202)

 

Nach dem alten Plan im HHStAW  war die „Kreuzabnahme“ als Mittelbild der dritten Zeile vorgesehen. Seit der Renovierung in den 1930er Jahren hängt das Bild als Mittelbild in der 4. Zeile und damit entgegen der Chronologie, (die für die Reihenfolge in den Spalten maßgeblich ist,) nach der „Auferstehung“. Der Autor sieht jedoch in dem Positionswechsel der 1930er Jahre nur eine aus Versehen geschehene Vertauschung und behandelt deshalb das Bild im Kontext mit den anderen Bildern der dritten Zeile, weil er in dem Vorgang der Kreuzabnahme„ in besonders eindringlicher Weise das Sakrament des Abendmahls [versinnbildlicht]“ sieht (S. 205 u). „So, wie der Leib Christi vom Kreuz  … herabgesenkt wird, so ist auch die Darbringung der Hostie und des Weins als Darreichung von Leib und Blut Christi zu verstehen“ (S.  205 o).

Gleichfalls wie bei Bild 9,„Kreuzaufrichtung“, operiert der Autor bei seiner Bildauslegung hier mit den Begriffen „Darbringung“ und „Darreichung“ aus der röm. Messe. Das bringt einen befremdlichen Ton in seine Argumentation und wäre vom Bauherrn sicherlich nicht akzeptiert worden.

 

Bild 17  : Auferweckung des Lazarus    (S. 206)

 

Der Autor moniert die Position des Bildes, weil es  - chronologisch falsch –in Zeile 3 und damit vor der „Salbung“ in Zeile 4 steht. Er konstruiert damit eine Bezugnahme über die Spalten hinweg, die er gern als die bevorzugte Leserichtung etablieren möchte.

Bei Bezugnahme über die Spalten hinweg, wird aber auch an anderen Stellen der Decke die Chronologie nicht eingehalten. So stehen die „Handwaschung des Pilatus“ in Zeile 4 der Spalte 7 und damit chronologisch vor „Jesus vor Pontius Pilatus“ in Zeile 5 der Spalte 3, und die „Kreuztragung“ in Zeile 6 der Spalte 1 und damit chronologisch  nach den Mittelbildern in Spalte 4 ,„Kreuzaufrichtung“ (in Zeile 2) , „Kreuzabnahme“ und „Auferstehung“ (in Zeilen 3 und 4).

Diese „Irregularitäten“, wenn es denn welche sind, beweisen, dass das System der Bezugnahmen nicht über die Zeilen hinaus ausgedehnt werden kann und die Leserichtung allein in den Zeilen liegt !

Da der Autor das Mittelbild  der Zeile 3, die „Kreuzabnahme“ (Bild 16) als Sinnbild des Abendmahlsakraments gedeutet sehen will, stehen die Außenbilder  dieser Zeile „Speisung der 5000“ (Bild 18, Spalte1) und „Hochzeit zu Kana“ (Bild 20, Spalte 7) für die Elemente Brot und Wein des Abendmahls.

Wie aber steht es mit dem Bild der „Kanaanäischen Frau“ (Bild 19, Spalte 5), die um Genesung ihrer Tochter bittet,und um die „Auferweckung des Lazarus“ (Bild 17, Spalte 3)in  diesem Zusammenhang?

Der Autor sieht im Bild der„Kanaanäischen Frau“ „das Brot zum Thema gemacht“ ( S. 214 u), gibt aber zu, dass inhaltlich der „Bezug zum Abendmahl  allerdings rein oberflächlich sei“ (S. 216 o).Deshalb schließt er sich der Beurteilung von N. Werner an (S. 216, FN 635), dass hier der Glaube „jenseits von Volks- und Religionszugehörigkeit“ thematisiert werde (S. 216 m), der die „Voraussetzung für die Wundertätigkeit des Abendmahls“ sei (S. 216 u).  Die Auslegung, die der Autor in weiteren Ausführungen dem Bild gibt, ist lutherisch– theologisch sicherlich nicht zu beanstanden, nur erhebt sich die Frage, wer von den Kirchenbesuchern konnte sie nachvollziehen, wer konnte das Bild in diesem Sinne deuten ?

Ebenso ist zu fragen, ob die Auslegung, die der Autor der „Auferweckung des Lazarus“ gibt (Christi Wort:„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, … .S. 208 m), so verstanden wird, dass das Bild als Abendmahlbild angesehen wird.  Der Autor gesteht selbst (S. 206 m), dass„sich vorderhand  kein Bezug zur Eucharistie herstellen“ lässt. Seine nachfolgende Argumentation zur Einordnung als Abendmahlbild ist äußerst mühsam,so dass man fragen darf, muß die ganze Bildzeile wirklich unter der Überschrift „Abendmahl“ stehen, oder wäre „Wunder“ nicht doch der einleuchtendere Titel derZeile ?

 

Muß mit dieser Bildzeile wirklich die „trüb – selige“ Stufenleiter Speners zur Vollkommenheit bewiesen werden, oder wäre nicht auch eine lebensbejahendere Auslegung besser passend ?

 

Bild 18  :  Speisung der 5000   (S. 210)

 

Der Autor bemängelt, dass nicht die eigentliche Speisung der 5000 im Bild dargestellt ist, sondern eine „Beratung Christi mit den Aposteln“ (S. 210 o), die der Autor offenbar in der von den 5000 Zuhörern abgesonderten Gruppe der Apostel vor sich gehen sieht.  Dabei ist doch nicht die pure Austeilung von Brot und Fisch das darzustellende Wunder, sondern dass Brot und Fisch nicht alle werden, beides für alle ausreichend vorhanden ist. Wie bitte sollte dieses Wunder gemalt werden ?

Was hier im Bild zu sehen ist, ist das Wunder, dass Christus dem Brot und dem Fisch die Qualität verleiht, nicht alle zu werden. Diese Segensgeste, die die Brotvermehrung inkorporiert, ist dargestellt und wurde von den Betrachtern wohl auch so interpretiert. Das kann als vollkommenes Abendmahlsbild verstanden werden, zeigt aber nur ein Element des Mahls, nur das Brot, während das andere Element, der Wein, am anderen, am Südende der Zeile verherrlicht wird.

Ob der Knabe mit den Broten der junge Georg August Samuel ist (S. 212 o) und eine gewisse Familienähnlichkeit mit seinem Halbbruder aufweist, der möglicherweise in dem „jungen König“ in der„Anbetung der Heiligen drei Könige“ (Bild 14, S. 197) dargestellt ist, bleibt offen.

 

Bild 19  :  Christus und die Kanaanäerin   (S. 214)

 

Schon „vorderhand wird der Bezug zum Brot im Abendmahl erkennbar“ schreibt der Autor (S. 214 u), schränkt seine Erkenntnis 2 Seiten später aber wieder ein : „inhaltlich ergibt sich der Bezug zum Abendmahl allerdings nur rein oberflächlich“ (S. 216 o). Erst über die Erinnerung an die Unterhaltung zwischen Christus und der Frau, die in der Bibel überliefert ist, reift die Erkenntnis, dass hier vom Glauben gesprochen wurde, und -  nach weiteren Ableitungen – dass der Glaube bereits von Luther als die zentrale Kraft des Abendmahls dargelegt worden sei (S. 216 u).

Die ganze weitere Argumentationskette liest sich wie der mühsame Versuch, das Bild zu einem Abendmahlbild zu stilisieren,damit es in die Spenersche Schublade  der Stufen zum Heil passt.

Die erkennbare einfache Aussage des Bildes „Krankenheilung“ genügt nicht dem auf Spener festgelegten  Anspruch desAutors.

 

Bild 20  :  Hochzeit zu Kana             (S.218 ff)

 

Der Autor nennt dieses auffallende Bild „ein rätselhaftes Bild“ (S. 218 o)., vermutlich deshalb, weil es mit seinen vielen Figuren zu vielerlei Deutungen und Beziehungslinien einlädt. Das ist bei den vielen Vätern, die das Bild hat nicht verwunderlich : Paolo Veronese mit seinem bekannten Bild für das Kloster San Giorgio Maggiore in Venedig, und Peter Paul Rubens mit den Bildern „Tomyris und Cyrus“ und „Gastmahl des Herodes“.  Der Autor geht diesen „Ahnen“ in einer Spurensuche auch mit Leidenschaft und respektablenDeutungen nach.

Insgesamt sieht er „den dargestellten Personenkreis [als] im Umfeld des Grafen Johannes“ beheimatet  (S. 223 u) und dadurch werden  auch Bedienstete des Grafen in dem Bild vermutet.

Eine der Bediensteten war die Dorothea Zerweck, Beschließerin und Kinderfrau am Hof, die später der Hexerei angeklagt worden ist. Der Autor zitiert (S. 224 o) eine angebliche Aussage der Dorothea Zerweck aus einem angeblichen Verhörprotokoll, in dem der Protokollführer festgehalten habe :  „ … [in dem Kana – Bild ] sind alle Hofleut abgemahlet, worbey auch dieser ihr gesicht gewesen. Es ist aber nachgehends, wie noch zu sehen, ein glaß rother Wein darauf gemacht worden“ (S. 224 o).

Die Figur, so hat der Autor herausgefunden, stammt aus dem Rubensschen Gemälde des „Gastmahl des Herodes“.Dort ist sie allerdings männlich und trägt einen Bart, der in Idstein noch rudimentär zu sehen ist. Der Autor mutmaßt, dass die Dorothea Zerweck die Kleidung der Figur als ihre Kleidung erkannt habe und deshalb  auch ihr Porträtdort vermutet habe.

Nun mag zwar die Dorothea das Bild gesehen haben (wo ? im Schloss ?) und auch erkannt haben, dass die Figur ihre Kleidung trägt, aber sie kann nimmermehr eine spätere Übermalung ihres Gesichts mit einem Glas voll Rotwein miterlebt haben, denn sie wurde – nach Verhaftung am 3. 2. 1676 und „Geständnis“ und Verurteilung am 7. 2. 1676 - bereits  am 12. 2. 1676 hingerichtet.

Was sich nämlich wie  ein Zitat aus demOriginal – Hexenprozess-Protokoll liest, ist dem 1725 von dem Wörsdorfer Pfarrer Sebastiani  im Auftrag des Superintendenten  Dr. Lange nachträglich erstellten zusammenfassenden Bericht über die Hexenverfolgungen entnommen. Und Sebastiani hat in seinen Bericht die Bemerkung(en) eingefügt, die zu seiner Zeit in Idsteins Kneipen und Spinnstuben erzählt  wurde(n) : Übermalung des Gesichts einer Hexe.

Der  Pfarrer Sebastiani hat in einem anderen „Gutachten“ für den Superintendenten Lange noch eine Spinnstuben – Geschichte erzählt, deren Wahrheitsgehalt nachprüfbar gleich Null ist: Von dem angeblichen Grab einer Nassau – Idsteinischen Gräfin auf dem alten Friedhof vor dem Himmelstor (HHStAW 133, Xa, 8a). Von Sebastiani sind auch die „Erzählungen“ in die Geschichte der Hexenprozesse eingefügt worden, die sich sonst nirgends nachweisen lassen: Die Auslösung der Hexenverfolgung durch die Erzählung des Schulbuben, er könne Kröten machen, und die Behauptung, der  Balthasar Moises sei als einziges Opfer bei lebendigem Leib verbrannt worden.

Sebastiani ist nach alledem  keine glaubwürdige Adresse für die Geschichte von der Übermalung des Gesichts der angeblichen Hexe Dorothea Zerweck und sollte deshalb auch nicht mehr vorgetragen werden.

 

Was der Autor an Deutungen für die vielen Personen und den Anlaß des Bildes ausbreitet, ist amüsant zu lesen, mag auch alles einen zeitgeschichtlichen Hintergrund haben. Die theologische Bedeutung des Bildes im Zusammenhang mit den übrigen Bildern der Zeile 3 ist nicht besonders herausgearbeitet.

Überraschend ist die Angabe, W. Sauer habe hinter einer Holzverkleidung ein Fresko König Adolfs gesehen (Nass. Ann.18 (1883/4), S. 274). Das ist in der neueren Literatur nicht wieder erwähnt worden und bedarf der Nachprüfung.

 

VIERTE ZEILE :  REINIGUNG      (S.237)

 

Bild 21  :  Auferstehung Christi     (S. 238)

 

In der alten Entwurfsskizze steht an dieser Stelle in der 4. Zeile chronologisch richtig bezogen auf die Reihenfolge der Mittelspalte, die Auferstehung. Aber Anfang der 1930er Jahre wurde sie gegen die Kreuzabnahme in der 3. Zeile getauscht. Der Autor vermutet, dass der Platzwechsel deshalb geschehen sei, weil die Auferstehung  dadurch neben die  Auferweckung des Lazarus in Zeile 3 gerückt worden sei, die traditionell als „Pendant“ zur Auferstehung Christi gesehen worden sei.

Auch sei möglich, dass man 1930 die  Versetzung der Kreuzabnahme aus dem Kontext „Eucharistie“ der Zeile 3 in den Kontext „Reinigung“  der Zeile 4 für passend hielt.

Beide  Erklärungsversuche überzeugen  nicht hinreichend. Die einfachste Erklärung, dass mit dem Positionswechsel eine erkennbar einheitliche Zeile 3 mit dem Titel „Wundertaten“ entstanden ist,  bezieht der Autor nicht in seine Überlegungen mit ein.

 

Es sei an dieser Stelle aber nochmals angemerkt, dass die Anordnung der Bilder in den vergangenen Jahrhunderten offenbar variiert hat.

Wenn die Zeichnung  „vor 1725“ des Innenraumes die damalige Wirklichkeit abbildet  (S. 115), dann hat der Zeichner als Mittelbild der 2. Zeile  eine Auferstehung gesehen, also dort, wo die Entwurfsskizze und die überlieferte Hängung heute die Kreuzaufrichtung hat. Es scheint zwar nicht die  Auferstehung zu sein, wie sie in Bild 21 (S.239)  vorhanden ist, bringt aber mit dem Bildthema gewaltige Deutungs-Unsicherheit in das Programm der Decke.

 

Auch in der Zuordnung  der Apostelbilder zu den Jochen des Kirchenschiffs bestand  vor 1930 eine andere Einteilung. Nach Fotografien des Innenraumes, die vor 1930 aufgenommen worden sind, waren vor der Renovierung der Apostel Andreas mit dem Andreaskreuz unter der Anbetung der Könige angebracht – heute steht er unter der Handwaschung des Pilatus - und der Apostel Jakobus Major, der damals unter der Hochzeit zu Kana stand -  steht heute unter dem Emmaus –Gang.

Es macht den Eindruck, als wären die 2x 2 Ortswechsel keine Vertauschungen aus Versehen, sondern mit Überlegung geschehen.

 

Bild 22  :  Tempelreinigung     . (S. 242)

 

Weil das Bild traditionell mit der Auferstehung Christi in Verbindung gebracht worden sei (S. 244 o), und derTempel „zum Zeichen für Christi Leib, der gereinigt auferstehen  wird“ stehe, stehe das Bild „in  der Zeile mit Reinigungsvorgängen,die auf die Läuterung des Einzelnen abzielen“ (S. 244 m).

Im  Bild dargestellt ist nur  die eigentliche „Tempelreinigung“ nach Joh. 2, 14 - 17.  Die in den anschließenden Versen 18 – 21 berichtete Diskussion mit den (ungläubigen) Juden ist  nicht verbildlicht. Auf sie bezieht sich aber der Autor in der theologischen Würdigung des Bildes: Auf die Gleichsetzung von Jesu Leib und dem Tempel (V.21), und seiner „Wiederaufrichtung am dritten Tag“(V. 19).

Beigezogen  werden auch Meister Eckehart , Thomas á Kempis und auch noch Johann Arndt. Unter dem Einfluss ihrer Schriften habe der Pietismus in der Tempelreinigung eine Allegorie gesehen „für die Reinigung der menschlichen Seele, zur Öffnung für Christus und damit zu einem wesentlichen Schritt hin zu seiner Nachfolge“ (S. 245 m).

Ob  „neben der offensichtlichen Interpretation der [im Bild gezeigten] Vorkommnisse der Reinigung derGotteshäuser von Missbräuchen“ (S. 244 o) die Befrachtung des Bildes und des Geschehens mit so viel theologischem Überbau von der Gemeinde bzw. von den Gebildeten in ihr, verstanden worden ist, erscheint fraglich.

Für die Gemeinde und ihre Geistlichen mag die einfach erkennbare Aufforderung, die verkündete Lehre vom falschen Opferkult, von Wechslern und Händlern frei zu halten, als eine hinreichend mühevolle Aufgabe erscheinen, der sie sich anzunehmen  hat.

 

 

 

Bild  23  :  Salbung zu Bethanien   (S. 246)

 

Der Autor hat Ähnlichkeiten dieses Bildes mit einem Rubens – Bild zum  gleichen Thema gefunden und darin wiederum eine Maria Magdalena, die aus einem Rubens – Bild „Pieta mit dem Hl. Franziskus“  entlehnt ist.  „Was wiederum belegt, dass  Rubens … selbst vorgefertigte Bildmuster wiederverwendet“ hat (S. 246 o). Dann  möge der Autor auch dem Immenrath verzeihen,wenn er ebenso verfährt.

 

Die farbliche Mattigkeit des Bildes,die der Autor Immenraedts Gehilfen oder späteren Restaurierungen zuschreibt,dürfte vor allem auf die Bleichung durch das Sonnenlicht zurückzuführen sein, die alle Bilder der Spalte 1 auf der Nordseite erfahren haben.

Der Autor stellt fest, dass es in diesem Bild um „Demut“ geht (S. 248 u). In Bethanien um die Demut des sündigen Menschen Maria Magdalena,, in Bild 25 in derselben  Zeile 4, bei der FußwaschungChristi, um die Demut Christi vor dem widerstrebenden Petrus, und die Handwaschung des Pilatus in Bild 26 gehe „gerade nicht  mit Selbsterniedrigung und Demut“ einher.

Der Autor meint, das Bild der Salbung füge sich „bestens in die vier (!) Bilder mit Reinigungsvorgängen“ in Zeile 4 ein, wo es „ganz traditionell für die Vergebung der Sünden stehen“ kann (S.249).

Abgesehen von dem Johann Arndt dem zurSalbungs-Handlung der Maria Magdalena die freudlose und Diesseits-feindlicheSequenz „bemühet euch … dass eure Seele / zermalmet und zerknirschet sei …“(Zitat S. 248 u), eingefallen ist, wird kaum ein Betrachter der Bilderdecke beim Anblick dieser Bildzeile zu „Demut“ und schon gar nicht zur „Reinigung seiner Seele“ verleitet worden sein.

Der theologische Überbau, den der Autor meint freigelegt zu haben, ist wohl mehr gelehrte Interpretation aus heutiger, breit angelegter Kenntnis aller möglichen Quellen als die damalige einsichtige und vielleicht auch einfältige Zusammenstellung verständlicher Glaubensgewissheiten.

 

Bild 24  :  Einzug in  Jerusalem   (S. 250)

 

Der Autor findet  „ikonographisch keinen besonderen Bezug zu den umliegenden Bildern. Es kann als Äquivalent zur  … Flucht nach Ägypten im Joch zuvor gelten. …Doch sind diese Interpretationsmöglichkeiten ausgesprochen flach“.

Damit stellt sich wiederum die Frage,ob diese Zwischen-Fenster-Bilder unter der Zeilenüberschrift – hier also„Reinigung“ – abgehandelt werden müssen, oder ob sie nicht in einem eigenen  Kontext zu interpretieren sind.

 

Bild 25  : Fußwaschung  Christi    (S. 254)

 

Dargestellt ist ein „Reinigungsvorgang“ und damit steht für den Autor das Bild in der „richtigen“ Zeile und bedarf „keiner weiteren Erläuterung“ (S. 254 u).  Dabei ist der Vorgang von hoher Symbolkraft und könnte sehr wohl in einem christologischen, gemeindebildenden Kontext expliziert werden. Hier hat aber die sichtbare Fußreinigung weitergehende Überlegungen blockiert.

Dafür werden so läppische „Zusammenhänge“ vorgetragen wie : Brot auf dem Abendessenstisch zeigt Bezug zum Abendmahl, das Gelb im Mantel der Kanaanäerin (Bild S. 217) taucht wieder auf im Mantel des Petrus (der hat aber noch einen zweiten, orangefarbenen Mantel, siehe Bild S.303), der purpurfarbene Mantel des jungen Apostels am  rechten Bildrand kehrt wieder im Bild S.277 (der Mantel – Träger – Apostel war aber zwischenzeitlich beim Coiffeur !).

Die Vorstellung des Bildes durch den Autor ist insgesamt ungenügend.

 

Bild 26  :  Handwaschung des Pilatus          (S.256)

 

Nach der Stufenleiter Speners die derAutor als Ordnungsprinzip übernommen hat, gehört die „Handwaschung“ als ein ordinärer Reinigungsvorgang in diese Zeile. Dass hier aber mit der Handwaschung des Pilatus eine Verleugnung Christi erfolgt, war nach dem bekannten Wort  „er wäscht seine Hände in Unschuld“ auch dem „letzten“  Kirchenbesucher klar und deutlich und erinnerte dringend an die jeweils höchstpersönliche Pflicht zur Achtung von und zur Nachfolge Jesu.

 

Dass  des Pilatus Ehefrau ihren Mann zum gerechten Umgang mit Jesus gemahnt hat (Mt., 27, 19), steht auf einer der Brüstungstafeln an einem Frauenstuhl. Allerdings nicht unter dem Bild der Handwaschung am „Bürgerstuhl“, sondern an der Süd-Ecke des Frauenstuhls der „Gerichtspersonen“,etwa 2 Bildlängen von dem angegebenen Standort entfernt. Der „einzige direkte,klar erkennbare Bezug zwischen Deckengemälden und den zuvor schon angebrachten Sprüchen auf den Balustraden“ ist also nicht gegeben, war auch wohl nie intendiert (S. 259 o).

 

Ob dem Bild eine politische Ambivalenz gegenüber der Obrigkeit entnommen werden kann und auch entnommen wurde, halte ich angesichts der doch deutlich dargestellten Frage  JA  oder NEIN zur Nachfolge , für nicht gegeben.

Zu diesem Bild passt die Zeilenüberschrift „Reinigung“ überhaupt nicht weil mehr dargestellt ist als ein„Waschgang“.

 

Bild 27  :  Jesus im  Garten  Gethsemane              (S. 262)

 

Ein  „emotional aufgeladenes Andachtsbild“ (S. 264 o), das „eher zusammenhanglos  an dieser Stelle“  steht (S. 262 m).  Dazu zitiert der Autor mehrmals  den Pietisten Johann Arndt (aus dem Jahr 1643) mit ekstatisch verbogenen Forderungen an die Gläubigen, die „Christi Bild ähnlich werden, [und] seine Leiden und die Verspottung nachempfinden“  sollen (S.262 u), denn „die Tränen der Bußfertigen seynd der süsseste Tranck der  heiligen Engel.“

„Die Auslieferung Jesu an den Willen Gottes ist damit das Vorbild für die Nachfolge Christi, die sich in Demut und Buße manifestiert“, folgert der Autor (S. 262 u).

Die Zeilenüberschrift „Reinigung“ ist in diesem Bild nicht erkennbar.

 

FÜNFTE   ZEILE : NACHFOLGE  CHRISTI          (S.265)

 

Bild 28  :  Himmelfahrt Christi         (S. 266)

 

An diesem Bild hat der Autor so viel auszusetzen, dass man zu fragen geneigt ist, hat die Idsteiner Himmelfahrt ihr Vorbild wirklich in der Rubensschen Himmelfahrt in der Jesuitenkirche in Antwerpen (S. 266 o) ?  In Idstein wird der auffahrende Christus „in starker Verkürzung, aber doch in deutlicher Seitenansicht gezeigt“, „die Bauschung der Gewandfalten unterstreicht … die Körperlichkeit Christi, während der Körper bei Rubens fast nur aus den Gewandfalten besteht“ (S. 266 o). Es ist doch wohl Christus, der aufgefahren ist und kein Stoffpaket !

In Idstein sitzen zu Füßen des auffahrenden  Christus die Zeugen des Geschehens,   Maria und die Apostel, die bei Rubens nicht im Bild sind.  Der Autor sieht in diesem Unterschied „die himmlische Vorlage von Rubens zugunsten der Wiedergabe eines Erde – Himmel  -Verhältnisses aufgegeben“ (S. 266 u) – was auch  immer er damit meinen mag – und vermisst im Idsteiner Bild  den von Rubens aufgezeigten „Einbruch des Göttlichen in die irdische Sphäre“.

 

Es bleibt der Eindruck, dass der Autor bei seinem Vergleich der beiden Gemälde, bei dem er „die Rubenssche Vorlage …insgesamt in [ihrer] Kühnheit herabgebrochen“ sieht, vor dem großen Namen eingeknickt ist,  und  dass die Idsteiner Himmelfahrt einen durchaus eigenständigen Platz in den abertausenden Himmelfahrtsbildern der christlichen Malerei beanspruchen kann.

Wo ist eigentlich der Bezug zur „Nachfolge“, zu dem übergeordneten Titel der Zeile ?

 

Bild 29  :  Ecce Homo          (Jesus vor PontiusPilatus)       (S.270)

 

Der architektonische Hintergrund des Bildes ist einem Veronese Bild entliehen, der gegeißelte Christus ähnelt einem Bild von Varotari, und Pilatus steht in der Kleidung, die er schon in der„Handwaschung“ (Bild 26, S. 257) getragen hat. Der Autor vermisst im Bild, die in der Bibel überlieferte geifernde Menschenmenge, die von Pilatus verlangt ,dass er diesen Jesus richte.  Diese biblisch überlieferte Menschenmenge ist auf dem schräg gegenüber, am Südende der Zeile 4 angebrachten Bild der „Handwaschung“ zu sehen (vergleiche Bild S.20/21). 

In kühner Interpretation der Handhaltungen von Pilatus und von Jesus (wobei dieser wegen der Fesselung gar keine Freiheiten hat, die Hand zu halten wie er will,) will der Autor erkennen,dass  jetzt, d. h. von diesem Bild aus, als die eifernde, den Jesus zum Kreuzestod verurteilende Menschenmenge die im Kirchenschiff (in den „Stühlen“) sitzende Idsteiner Gemeinde anzusehen ist. Diese soll sich  „damit emotional getroffen fühlen“ und der Einzelne soll mit Christi Leid in Verbindung gebracht werden (S. 272 o).

 

Gesetzt den Fall, der „Erfinder“ des Bildes und der gesamten Bilderdecke hätte so „erzieherisch“ gedacht wie eben dargelegt, wer hätte dieser „Erfinder“ sein können ?  Der Maler doch sicherlich nicht, dem dürfte der geistliche Zustand der Gemeinde doch relativ gleichgültig  gewesen sein .Bleiben der Graf und / oder  sein Superintendent als mögliche „Erfinder“. Eine zweifelsfreie Zuschreibung ist nicht mehr möglich. Aber das Beispiel zeigt, dass der Maler vermutlich nicht allein nach seinen Intentionen malen konnte.

 

Die „Nachfolge“, unter der dieses Bildin der Zeile steht, kann nur als emotionales Mitfühlen verstanden werden. Ob es zusätzlich auch als Aufforderung, „um Christi Willen“ Leid zu ertragen, verstanden wurde, mag im 17. Jahrhundert wohl nur noch bei orthodoxen Pietisten  denkbar gewesen sein – zu denen Elbert und sein Graf vermutlich nicht zählten.

 

Bild 30  :  Verleugnung Petri            . ( S. 274)

 

Das Bild ist eine recht getreue Kopie eines Gemäldes von Kartenspielern des Gerard Seghers, das hat der Autor herausgefunden.  In Idstein stehe es als Negativbeispiel zur Nachfolge Christi, als „Aufruf an die Gemeinde, nicht wie Petrus zu handeln“ (S. 274 u).

 

 Bild  31  :  Der ungläubige Thomas             (S. 276)

 

Die Apostel, die in zwei Gruppen links und rechts von dem auferstandenen Christus stehen, sind getreue Kopien aus dem Gemälde von Raffael „Tu es Petrus, Weide meine Schafe“, das S. 278 abgebildet ist. Hier ist  Petrus, an der Spitze der Apostelschar zusehen, er kniet vor Christus nieder und, hält bereits den Schlüssel zum  „Himmel und zur Hölle“ in den Händen.. Im Gegensatz zu der als Freiluftszene dargestellten „Schlüsselübergabe“ spielt dieThomasszene  in einem „sakralen" Innenraum und die Figur des schlüsselhaltenden Petrus  steht hier für den Thomas, der im Begriff ist, seine Finger in Christi Wunde zu legen.

Der Autor macht – erstaunlicherweise ohne Häme - darauf aufmerksam, wie „Immenraedt sich vorgefertigter Bildmuster bediente, diese neu zusammensetzte und mit neuen Bildinhalten versah“ (S. 278 o), so, wie ja auch „Rubens und seine Werkstatt … vorgefertigte Bildmuster wiederverwendeten“ (vgl. Bild 23, „Salbung in Bethanien“, S. 246 o).

Als ein Beispiel „für die dualistische Struktur der Bilderdecke, die nicht nur die positive Entwicklung der Christusnachfolge verdeutlicht, sondern … in Negativbeispielen  ihre Lehrfunktion umzusetzen versucht“ (S. 279, o) sieht der Autor die Funktion des Bildes. Das ist hier gelungen, ohne dass komplizierte theologische Strukturen bemüht werden mussten.

 

Bild  32  :  Gang nach Emmaus                   (S.280)

 

Mit diesem Bild tut sich der Autor sehr schwer, obwohl es doch vordergründig am einleuchtendsten in die Zeilen – Devise „Nachfolge Christi“ gehört.

Den Anführer der Dreiergruppe identifiziert er als den Christus, obwohl er seine Erscheinung als zu blass und zu klein (gegenüber den beiden Folgefiguren) empfindet.. Es  „sollte wohl verdeutlicht werden, dass es sich um den Geist des Auferstandenen handelt“  (S. 280 m). - D a s  ist mir aber ganz neu!  Die Christen glauben doch, und das haben die damals doch erst recht getan, an die  l e i b l i c h e   Auferstehung ! 

Die zweite, mittlere Figur der Dreiergruppe ist der Graf Johannes. Das ist archivalisch überliefert und auch unstrittig, selbst wenn der Porträtkopf einem Körper anderer Bildherkunft aufgesetzt sein sollte (S. 282 u).

Schwierig fällt dem Autor die Identifizierung des dritten Wanderers. Wegen der Jakobsmuschel an seiner Kleidung wurde er bisher als Jakobus d. Ä. angesehen. Das lässt der Autor nicht gelten, weil Jakobus nicht in der Bibel genannt ist (S. 283 m), vielleicht aber doch, weil er als Apostel in dem Medaillon unterhalb des Kana – Bildes zu sehen ist. Dass dieses Medaillon mit dem Jakobus d. Ä. erst bei der Renovierung 1930 diesen Platz erhalten hat, war dem Autor nicht bekannt. Für den in der Bibel genannten  Kleophas hält er ihn – ohne weitere Begründung -  aber auch nicht. 

Aber: da ist ein zerdrückter weißer Kragen am Hals. Das verleitet den Autor, an einen Geistlichen zu denken, der hier porträthaft dargestellt sein könnte (S. 283u).

Zwei Personen stehen zur Auswahl: Der Idsteiner Superintendent Johann Philipp Elbert – von dem der Autor hier erstmals berichtet, dass er „maßgeblich das Programm der Kirche mitbestimmt haben dürfte“ (S. 284 u). Auf einen solchen Hinweis, wer denn der „Erfinder“der Bilderdecke gewesen sein könnte, musste der Leser seit S. 41, wo das Porträt Elberts  abgebildet ist, warten ! 

Dass dieses in Idstein überlieferte Porträt  „freilich nicht so prägnant ist, dass die Identifikation zwingend wäre“ (S. 285 o) kann nur unterstrichen werden: Die beiden Köpfe haben keinerlei Ähnlichkeit. Das kann möglicherweise damit zusammenhängen, dass das Idsteiner Porträt mit grosser Wahrscheinlichkeit erst „post mortem“ angefertigt worden ist.

Wenn nicht Elbert, dann steckt vielleicht der Frankfurter Pietist Philipp Jakob Spener in der Wanderkluft des dritten „Emmaus – Jüngers“. Weil aber „auszuschliessen ist, dass Spener selbst am Kirchenprogramm  mitgewirkt hat“,„zudem der Kontakt zu Spener nicht so intim gewesen zu sein scheint“ (S. 285 u  und 286 o), wie es in der Nähe des dritten Wanderers zum Grafen in dem Bild aufscheint, möchte der Autor in der Figur des dritten Wanderers doch eher den Sup.- Intendenten Elbert erkennen.

Nach einigen Mutmaßungen zum Thema„Hofgesellschaft“ und den Beziehungen Elberts zu Spener, sowie zur Leit-These des Elbertschen Katechismus „Trachtet darnach, dass ihr die Gemeinde bessert“,kann der Autor seine Bildinterpretation beenden mit der Feststellung „Der Inhalt des Gemäldes dürfte … in pietistischen Gedankenstrukturen seine Heimat haben: Christusnachfolge des Einzelnen unter geistlichem Beistand zur Verbesserung der Gemeinde“ (S. 286 o).

 

Bei der sich doch nicht als sehr sicher  darstellenden „Beweisführung“ stellt sich doch die Frage, warum der Autor nicht die in Nass. Annalen 2010, Text zum Frontispiz, vorgetragene Indizienkette übernommen hat. Sie schließt von dem eindeutig als Jakobus d- Ä. gekennzeichneten dritten Wanderer auf dessen Bruder, den Jünger Johannes als den zweiten Wanderer, der die Kleidung und die   Gesichtszüge des Grafen Johannes trägt.

Für das Verständnis des Bildes und die Funktion, die es in der Bilderdecke hat, ist es eh unwichtig, mit wem der dritte Wanderer identifiziert wird. Wichtig ist, dass der Gemeinde  gezeigt wird, wo ihr Graf steht : Ganz auf der Seite von Christus als dessen Gefolgsmann.

Dass der dritte Emmaus – Jünger, der nach St. Compostella pilgern will oder wollte, seinen Wanderstab wegwirft (was so aussieht, als stünde  der Pilgerstab mit Flasche „völlig unmotiviert in der Landschaft“ (S. 283 o)), kann doch nur bedeuten, dass er die (katholische ?) Pilgerfahrt aufgegeben hat und fortan dem Christus auf andere, direktere  Weise dienen will.

 

Auf dieses Bild wird im Kapitel „Das Bildprogramm in religiöser Sicht“, S. 236 / 237, nochmals eingegangen.

 

 

6.    ZEILE :  HEILIGUNG                (S.287)

 

Bild  33 :  Johannes auf dem Berg Patmos  / Offenbarung           (S. 288)

 

„Ich, Johannes, … war auf der  I n s e l , die da heißt Patmos, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses Jesu Christi“ (Offenb. 1, 9). Hat der Autor auf dem  B e r g  (S. 288, o), den es auf der Insel sicherlich gibt, vielleicht eine gesonderte Offenbarung empfangen ?

Immerhin  ist er der Meinung, dieses Zwei – Figuren – Bild nach Offb. 14, 6  passe besser in die „Struktur der Mittelreihe“(S. 288, o) als das in dem alten Plan hier angedachte vielfigurige Bild nach Offb. 4, 4 , vom Thronsaal Gottes, in dem u. a. die 24 Ältesten hätten dargestellt werden müssen, und das damit „die Struktur der Mittelreihe gesprengt [hätte]“ (S. 288 m). Welche Vorstellungen stecken denn hinter solchen  gestanzten Metaphern ?

Außerdem belege das Bild „erneut“, dass „die Bilderdecke keineswegs die von Merian  anfangs angedachte Darstellung des Lebensweges Christi thematisiert … Vielmehr sollte der Lebensweg ins Transzendente gedeutet werden“ (S. 288 m).

Der angeblichen Beteiligung Merians am Programm-Entwurf für die Bilderdecke ist oben S. 75 und 78 schon widersprochen worden. Wie aber deutet man einen Lebensweg ins Transzendente, wenn der Lebensweg selbst nicht thematisiert worden ist ?  

 

Das ist Wortgeklingel ohne Substanz !

 

Überraschende Beobachtungen macht der Autor wenn er das Bild im Verbund  mit den beiden benachbarten Bildern betrachtet: „Die beiden Christusfiguren in den seitlichen Gemälden [gemeint ist wohl im Bild mit der Maria Magdalena und im Bild von Petri Fischzug]  formieren sich mit dem Engel auf diesem Bild zu einem spitzzulaufenden Dreieck“ (S. 290 u). Selbst wenn dem so wäre, was z. B. auf den Fotos S. 10/11, 20/21 und 72/73 nicht nachzuvollziehen ist, schon gar nicht eine Spitzwinkligkeit, was folgt daraus ?  Der Autor gibt keinen Hinweis zum Verständnis.

Auch zu der – nur – vom Autor gesehenen „spiegelverkehrten Wiedergabe des Christus aus der vorhergehenden „Himmelfahrt“ als Engel in dem Patmos – Bild gibt es keine Erklärung von ihm.

Trotzdem findet der Autor für „dieses ausgeklügelte System“ – wo ist hier ein System ? - die Erklärung, „dass von der Orgelempore die Breitseite der Kirchenbemalung eingesehen werden konnte, was sonst an keiner Stelle der Kirche möglich ist.“ Mit Verlaub : Welch eine Verirrung !  Vom Erdgeschoss des Kirchenschiffs aus war die gesamte Decker immer und in allen Richtungen zu betrachten !

Richtig gesehen ist die Blickrichtung des Engels: Hinunter auf die Gemeinde. Dazu „ist sicherlich die lehrende Funktion  des Engels“ (S. 291 o) zu bedenken: „Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre, denn die Zeit seines Gerichts ist gekommen“ (Offb. 14, 7).

 

Bild  34 :  Der Auferstandene erscheint Maria Magdalena / Noli me tangere        (S. 292)

 

Während für den  unbefangenen, in religiöser Malerei auch unbewanderten Betrachter das Bild eines der anrührendsten der ganzen Bilderdecke ist, sieht der Kunstkenner „auf den ersten Blick …stilistisch wie inhaltlich Komponenten, die nicht recht zusammengehören und zusammenpassen“ (S. 292 o).  Schade !

 Denn der Vorwurf, die Maria Magdalena (Abb. S. 294) sei – weil einer Salbung  in Bethanien von Giorgione entnommen (Abb. S.295) – zu groß geraten (S. 292 o), lässt sich mit dem cm – Maß widerlegen und dass die Frau an Christus vorbei schaue, kann auch nicht jeder sehen.

Es ist sowieso die Frage, warum Immenraedt nicht in der Lage gewesen sein soll, seine eklektizistisch ausgewählten Figuren so zueinander zu gruppieren, dass der Autor keine Fehler finden würde.

Der "Gärtner“ – Christus gehe eindeutig auf eine Adaption des Apoll vom Belvedere durch Rubens zurück. Jedenfalls hat er hier eine eindeutig menschlichere Ausstrahlung als die Marmorstatue.

Vom Brunnen am linken Bildrand zieht der Autor eine symbolische Linie des „Wassers des Lebens“ zum auferstandenen Christus am rechten Bildrand, und verknüpft diese Szene an einem Brunnen nach der Liturgie der Fastensonntage mit der Begegnung Christi mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen (Joh. 4, 5 – 42)  und dem Freisprechen der Ehebrecherin ,ebenfalls an einem Brunnen (Joh. 8,11). Aus diesen virtuellen Linien zieht der Autor den Schluss, dass das „zentrale Bildthema“ die Überführung „der Maria Magdalena durch den Glauben an Christus in das ewige Leben“ sei.

Ob diese Deutung viel Beifall findet, bleibt offen.

 

Bild  35 :  Kreuztragung Christi         (S.296)

 

Männer in der Haltung der Figuren der Laokoon – Gruppe, dazu Übernahmen aus Gemälden von Rubens und von van Dyck sind die dominierenden Gestalten des Bildes. Immenraedts Eklektizismus hat sie „aus unterschiedlichen Vorlagen mit verschiedener Bildthematik … herausgegriffen und neu kombiniert“ (S. 298 o).

Als wichtig für die Bildaussage sieht der Autor aber auch die nicht direkt in das Geschehen eingreifenden Nebenfiguren an, die „die Kirchengemeinde in das Gemälde hinein[ziehen] und ihr ein Nachleiden des Lebensweges Jesu ans Herz“legen (S. 299 m).

Damit  gehört das Gemälde eigentlich in die 5. Zeile der „Nachfolge Christi“ und nur bedingt in die 6., die Zeile „Heiligung“. Das wird vom Autor  bei der Besprechung des nächsten Bildes auch so beschrieben: „… die Kreuztragung, die ja bereits als Aufforderung zur Christusnachfolge  interpretiert wurde“(S. 300, m).

 

 

 

 

Bild  36 :  Petrus und Johannes auf dem Weg zum Grab Christi               (S. 300)

 

Der Gang der beiden Jünger zum leeren Grab kann auch als  eine Präfiguration der Nachfolge Christi gedeutet werden.

Die beiden sind zwar prominente, aber doch auch parteiische Zeugen der Auferstehung, denn sie gehören zu den Parteigängern des Christus. Ob man in  ihren Erzählungen „die Offenbarung des Göttlichen“ (S. 202,o) erkennen will, hängt vom Standpunkt des Zuhörers ab.

 

Bild  37 :  Der Auferstandene erscheint Petrus am See Genezareth         (S. 304)

 

Das Bild zeigt die bekannte Geschichte von „Petri Fischzug“, wie sie bei Joh. 21, 1 – 14  beschrieben ist und der  Autor gibt an, woher Immenraedt die Figuren genommenhat, die im Bild zu sehen sind.

Im Bild untergebracht sind noch Details, deren Symbolgehalt erläutert wird: In dem Fisch auf dem Bratrost sieht er ein den Opfertod Christi stellvertretendes Bild, in dem Netz voller Fische sieht er lauter Christus-Symbole und der durchs seichte Uferwasser auf Christus zueilende Petrus steht für die Nachfolge Christi.

Das sind aber keine christologischen Aussagen, die groß zu erörtern oder zu bedenken wären. „Heiligung“ – die Spenersche Zeilenüberschrift, ist schwer oder nicht erkennbar.

Was der katechismusfeste Betrachter aber mit diesem Bild assoziiert, ist im Gemälde nicht darstellbar, steht aber in den anschließenden Versen 15 – 17 : Die dreifache Berufung des Petrus zum Hirten seiner Schafe, und in dem Vers 18 die Prophezeiung seines Schicksals  „wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen wohin du nicht willst“. Hier im Bild streckt Petrus noch beide Hände nach Christus aus.

 

Jetzt können Spekulationen darüber angestellt werden, ob Immenraedt dieses „katholische“ Bild von dem „Sonderauftrag“ für Petrus hier nur eingeschmuggelt hat, dann könnte man in irgend einer Weise von „Heiligung“ in diesem Bild sprechen, oder ob es das Bild  einer „Berufung in den und zum Dienst“ ist.

 

Zu dem „katholischen“, ja sogar „papistischen“ Gehalt des Bildes im Vergleich zu dem angeblich „antikatholischen“ Bild der „Versuchung“ (Bild 15, S. 199), sind bereits bei der Besprechung der „Versuchung“ Überlegungen angestellt worden.

 

Mit derSpenerschen Stufe der „Heiligung“ kann es nur mühsam in Übereinstimmung gebracht werden.

 

Bild  38 :  Pfingstwunder                   (S.308)

 

Für dieses Bild, das gemeinhin  das als Gründungsakt der christlichen Kirche  verstandene Pfingstwunder zum Thema hat, hat der Autor keine anderweitigen Vorlagen ausfindig gemacht, aus denen Immenraedt die  markanten Figuren entlehnt haben könnte. Das ist hier umso bedauerlicher, als damit eine personelle Unbestimmtheit  bestehen bleibt, die die Zuordnung einiger,das Bild dominierender Personen erschwert.

Der kahlköpfige Petrus, der nach der Ausgießung des Hl. Geistes eine lange Predigt gehalten hat, die in Apg. 2, 14 – 40 überliefert ist, sitzt in seinem blauen Mantel (den er schon auf dem Weg zum Grab Christi getragen hat, siehe Bild 36,S.303) ,nicht besonders erregt vorn links im Bild, vor der Maria (S. 308 o).

Dagegen steht am rechten Bildrand ein großer Mann mit Kinn- und Schnurrbart und  vollem Haarschopf, angetan mit einem metallisch grau schimmernden Mantel (nicht mit den orientalischen Stoffbahnen bekleidet), der mit großer Gestik zur Versammlung spricht. Für den Autor ist dieser Mann „nicht näher zu identifizieren“ (S. 308 m). Zusammen mit den vor ihm sitzenden Frauen, von denen zumindest eine zeitgenössische Kleidung des 17.Jh. trägt (S. 310 o), ist zu überlegen, ob es sich  bei dieser Gruppe von 4 Personen nicht  um idsteinische Zeitgenossen des Malers handelt, vermutlich um Angehörige des Hofes.

Wenn die Zuschreibung stimmt, dass der Kahlkopf am linken Bildrand der Petrus ist, der seinerzeit  in Jerusalem am Gründungstag der Kirche gepredigt hat, dann ist zu überlegen, ob der Mann am rechten Bildrand nicht vielleicht der Prediger ist, der zur Zeit, da das Bild gemalt worden ist, in Idstein in Wort  und Bild - gemeint sind die Bilder der Bilderdecke  - gepredigt und die Gemeindekirche neu aufgebaut hat: Der Superintendent des Grafen Magister Johann Philipp Elbert .Mir ist leider keine Quelle bekannt aus der zu entnehmen wäre, dass Elbert ein so furioser Prediger gewesen ist, wie der Prediger, der hier im Pfingstbild dargestellt ist.

Der Prediger, und wenn es denn Elbert sein sollte, dann eben der Superintendent Elbert steht an der Kirchendecke in der 7. Bildspalte nach dem „Emmausgang“ mit dem Porträt - Bildnis des Grafen. Dagegen ist eine porträthafte Übereinstimmung des „Pfingst“ – Predigers mit dem in Idstein überlieferten, „post mortem“ Porträt Elberts   nicht zu erkennen.

Der Auto rspekuliert noch etliche Zeilen lang über die mögliche Identität der vor dem Pfingst-Prediger sitzenden Frauen (S. 310, o,m), die er als Angehörige des Grafenhauses ansieht, aber nicht mit Sicherheit identifizieren kann.

In der vorn sitzenden , reich gekleideten, älteren(?) Frau vermutet er ein Porträt der zweiten Frau des Grafen. Sie habe gegen Ende ihres Lebens Gehschwierigkeiten gehabt und strecke deshalb ihre (steifen ?) Beine weit ins Bild. Dass der Graf solch ein Gebrechen auf Ewigkeit im Bild hat festgehalten sehen wollen, darf bezweifelt werden.  

Die Frau schaut auf Maria. Die nächstfolgende ist ins Gebet versunken und die dritte schaut zu dem Pfingstprediger. Auffallend ekstatisch sind die Gesichtsausdrücke der drei Frauen nicht gemalt. Dennoch sieht der Autor in ihnen ihre „Heiligkeit“ dargestellt. „Durch ihre herausragende Frömmigkeit [ist es ihnen] gelungen, in Gottes Geist beheimatet zu sein. Ein seliges Ende  ist ihnen damit zuteil geworden. … Das Bild legt ein beredtes Zeugnis ab über das ekstatische, auf das Jenseits hoffende Christentum am Idsteiner Hof“  (S. 310, u).

Bei soviel Interpretations – Schaum  bleibt dem nüchternen Beobachter die Luft zum Atmen weg !

Aber damit noch nicht genug: Weil in dem Bild nicht die Pfingstgemeinde „in den Mittelpunkt“ gerückt ist, sondern „die Predigt des Petrus“ – wobei der doch gelassen in seinem Sessel links vorn sitzt, während der Mann im grauen Mantel am rechten Bildrand lebhaft predigt – werde hier ein „transzendenter Aspekt herausgestrichen. … Nicht nur die Gründung der christlichen Gemeinde und die Kraft des gepredigten Wortes“ solle hier akzentuiert werden, „sondern der Aspekt von  Unsterblichkeit und Wiedergeburt.  Die Nachfolge Christi wird dadurch mit dem jenseitigen Dasein in Verbindung gebracht und erlangt die Transzendenz, derer es bedarf, um sie in der letzten Reihe (besser: Zeile) der Idsteiner Kirchengemälde zu verorten.“

Die Auslegungskraft des Autors ist schon gewaltig !

 

BILD 39  :  Gefangennahme Christi      (S. 312)

 

Der Autor vergleicht das Idsteiner Bild mit einem Bild van Dycks zum gleichen Thema und findet die Idsteiner„Komposition …[als eine] ins etwas langweilige verwandelte Adaption“ der van Dyckschen Vorlage (Abb. S. 314).  Über dieses Urteil kann man verschiedener Meinung sein.

Wenn man sieht, dass im Bild van Dycks ein wesentliches dramaturgisches  Element der ungeheuer große gelbe Fleck in der Bildmitte ist, der beim ersten Hinsehen auch Kopf und Maul einer Kuh sein könnte, aber den stoffreichen Mantel des Judas darstellen soll, dann ist der van Dycksche Bildaufbau eher verwirrend als dramatisch.

Dagegen schuf Immenraedt in der Bildmitte eine Dreiergruppe von ausgesprochener Intensität: Der Soldat, die Staatsgewalt, die den Haftbefehl nicht durch harten Zugriff sondern nur zögerlich durch Handauflegen vollzieht („Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten“, Mt. 27, 19, war die  Bitte der Frau des Pilatus an ihren Mann). Ein fast weinender Judas, der seine Tat schon bereut, steht neben dem fest dreinschauenden Jesus, der weiß, dass und was die Stunde geschlagen hat.  Hier ist kein Radau wie im Bild van Dycks, hier ist Einsicht in die Notwendigkeit des Geschehens gemäß dem Willen Gottes.

Daher passt es auch nicht in das Spenersche Prokrustesbett des Zeilentitels „Heiligung“ sondern in eine Zeile„Berufung und Nachfolge“.

Dass der Autor erwägt (S. 315), ob das im Urplan enthaltene aber durchgestrichene und somit verworfene Bildthema „Salomon“ nicht doch besser an diese Stelle gepasst hätte, zeigt, dass er die Gesamtintention der Decke missverstanden hat.

 

 

 

DAS BILDPROGRAMM  IN RELIGIÖSER  SICHT    (S. 317 ff)

 

Der Autor sieht die „größten   Misshelligkeiten bei der Interpretation der Decke“ beseitigt, wenn „man sich die Leserichtung durch die auf den Emporen sitzenden Gottesdienstbesucher vergegenwärtigt“. Die Seitenreihen (besser „Spalten“) seien  mehr oder weniger chronologisch angeordnet,die Mittelreihe (= Mittelspalte) gebe den Takt vor, auf den sich alles andere ikonographisch beziehe. Mit der verquollenen Formulierung (S. 317 u), „bei der Mittelreihe handelt es sich dann um den Nukleus des in göttlicher Transzendenz Waltenden, auf den sich das aus dem alten erwachsende neue Leben zu beziehen hat“, schließt der Autor seine Spekulationen über eine Leserichtung in den längsgerichteten Spalten ab.

Dafür referiert er nachfolgend ausführlich die Vorstellungen verschiedener Pietisten über den richtigen „Weg zur Vollkommenheit“ (S. 318 f), für den die Theologen z. T. 6 Stufen ansetzen.Diese Stufenzahl „6“ (S. 320 o), identisch mit der Anzahl der „Bildzeilen“, ist ihm der Schlüssel zum Verständnis der Deckenstruktur als einer Anweisung zur Nachfolge Cristi. nach der Spenerschen Stufenleiter.

Dieses Auslegungssystem exerziert der Autor durch alle 6 Zeilen mit jeweils 6 oder 7 Bildern hindurch und muss manche theologische Pirouette drehen, um die Bilder im Spenerschen Stufenhaus unterzubringen.

Die Betrachtung der Bilder unter diesem Aspekt des Weges zum Heil, nutzt der Autor auch zur Kritik, ob denn der Bildinhalt den Weg zum Heil weist.

Nach allem, was der Autor schon an Kritik an dem Grafen von sich gegeben hat, ist es nicht verwunderlich, wenn er an dem Bild, das den Grafen zeigt, dem Bild des Emmaus – Ganges (Bild 32, S.281) schweres Geschütz auffährt und  „an der selbstgewissen  Attitüde des Grafen in der direkten Nachfolge Christi … [den]Grundcharakter der Hybris“ erkennt (S. 326 u). Mehr noch : „Die Darstellung einer direkten Nachfolge Christi [vermittelt] nicht nur Glaubensgewissheit sondern schon anmaßende Selbstgerechtigkeit.“ (S.327, o).

 

Nun wird kein Betrachter des Bildes den Grafen je als „Nachfolger“ Christi gesehen haben, erst recht nicht als„Stellvertreter“, aber als einer, der Christi Lehren beherzigt und umsetzt, wollte der Graf wohl schon gesehen werden. Wie stellt man das im Bild dar, wie anders als in Idstein ? Der Autor verweist auf die Stifterbilder/ -figuren im knieenden Demutsgestus als Alternative. Die werden aber als  „Anbeter“ wahrgenommen, nicht als ein aktiv Christi Lehren verbreitender, und deshalb stehender Landesherr.

 

An dieser Stelle wäre auch eine Untersuchung angebracht gewesen, ob denn der aufrechte Gang des Grafen hinter dem Christus nur und allein als „anmaßende Selbstgerechtigkeit“ und als„Hybris“ verstanden werden muss.

Könnte es nicht sein, dass hier etwas Neues geschaffen worden ist, etwas was noch nicht in den Lehrbüchern für Kunstgeschichte abgehandelt worden war, nämlich das „protestantische Stifterbild“ !   Frage an dieWissenschaft: Gibt es irgendwo Analog – Beispiele ?

 

Mit dem für den Autor kennzeichnenden Zirkelschluss folgert er aus Hybris und Selbstgerechtigkeit : „Das Schwanken zwischen Leidenschaft und Zerknirschung, zwischen Demut und Selbstbewußtsein scheint … eine Grundkonstante im Selbstverständnis des Idsteiner Hofes gewesen zu sein“ (S. 327 u) .

 

Zum Schluss vermutet der Autor, dass das Programm der Idsteiner Decke aus der Berührung des Grafen mit vor- und frühpietistischen Gedanken in der Straßburger Zeit entstanden sein könnte (S.329 m).  „Denn es ist nicht gewiss,inwiefern Spener das Denken in Idstein direkt beeinflusst haben könnte“ (S. 328m).

 

 

 

WELTABKEHR  UND ÄSTHETIK      (S. 331 ff)

 

Nachdem der Autor in der Bilderdeckenur die „Weltflucht als bewusste Abkehr vor den Widrigkeiten des eigenen Schicksals“ (S.329 u) auf dem „Weg zur Nachfolge Christi“ (S. 331 o) intendiert sieht, fragt er, wie sich diese Haltung mit den übrigen Aktivitäten des Grafen wie Pflege des Gartens, Anlegung einer Gemäldesammlung und Ausbau des Schlosses,die alle ein markantes Repräsentationsbedürfnis bezeugen, in Einklang zu bringen ist.

Zur Repräsentation beigetragen habe auch die Sammlung von Kopien berühmter Gemälde, die durch im Handel erhältliche Stichvorlagen zugänglich waren. Immenraedt habe aber bei seiner Gestaltung der Bildthemen nicht im Sinn gehabt, ganze Bilder als „vorgefertigte Muster zu kopieren“ (S. 334 o). Der Autor sieht die Kopistentätigkeit Immenraedts deshalb kritisch, weil er „mit sinnentstellenden Versatzstücken arbeitete“.

Was genau der Autor mit dieser Rüge meint, schreibt er 3 Seiten später: „… Immenraedt machte es sich nicht ganz einfach. Schließlich kopierte er nicht bekannte Gemälde … sondern setzte aus den Versatzstücken neue Bilder zusammen. Denn häufig griff er bei Bildvorlagen  nicht einmal auf themengleiche Gemälde zurück“ (S. 337 u).

Deshalb meint der Autor, „die Ästhetik Immenraedts  könnte  … als  Zeichen seiner Einfallslosigkeit angesehen werden: der Eklektizismus als Notbehelf eines geschulten aber wenig innovativen Handwerkers“ (S. 334 u).

Zudem, so der Autor, „verbindet sich mit den Zitaten und Adaptionen keine Aussage. Ikonographisch bleiben die Zitate nichtssagend oder widersinnig. ... Unter diesem Blickwinkel  würde die Kirchendecke zu einem epigonenhaften „L´art pour l´art“, das  …zu keiner innovativen Schöpfung fähig ist“ (S. 338 o).

 

Nachdem der Autor über 200 Seiten aus den Bildbetrachtungen die Erkenntnis gesogen hat, dass am Idsteiner Hof angeblich Weltuntergangsstimmung geherrscht habe, überrascht die Bemerkung über mangelnde Aussage.

Immerhin war der Graf mit den aus Immenraedts Arbeitsweise hervorgegangenen Bildern überaus zufrieden und vermochte „dem Ästhetizismus viel abzugewinnen“ (S. 338 m).

Versteckt in der Fußnote 851 auf S.338 findet auch der Autor zu einem gemäßigteren Urteil zurück: „Dadurch, dass Immenraedt keine kompletten Vorlagen duplizierte … kann durchaus von der Kreation eines Neuen gesprochen werden. Die Idsteiner Decke ist mehr als das Resultat der Reproduktionstechnik. Der „Remix“ führt aber nicht  … zum Gewinn neuer Bedeutungen. Die Idsteiner Kirchendecke befindet sich  damit.zwischen den Ebenen von Original und Kopie und bezieht von daher ihre besondere Bedeutung“.

 

Aber, da ist noch die „religiöse Aussage der Deckengestaltung“.  Dafür sieht der Autor  das eklektizistische Patchwork Verfahren, mit dem die Bilder gestaltet sind, für fragwürdig an.  „Denn ein aus streng protestantischem Geist erwachsenes Bildprogramm  der Weltverneinung mit Hilfe einer katholisch gegenreformatorisch geprägten Bildlichkeit voller ästhetisierender Finessen darzustellen, scheint unpassend…“ (S. 340 o).

Für diese Problematik vermisst der Autor ein „fundiertes Bewusstsein“ am Idsteiner Hof, wie es auch keine ikonographische Aufarbeitung gebe, „wofür … das Fehlen jeglichen Quellenmaterials spricht. … Der Auftraggeber scheint sich bis zum Schluss nich trecht klar darüber gewesen zu sein, was die Kirche nach ihrer Fertigstellung darstellen solle“ (S. 340 u).

 

Hier fällt der Autor in die Grube seines fehlenden Archivmaterials. Aber anstatt darüber nachzudenken, wieso es keines gibt, da anzunehmen ist, dass die damals in Idstein handelnden Personen mindestens ebenso schlau waren wie der Autor heute, hängt der Autor den Idsteinern Konzeptionslosigkeit an. Dabei lässt sich  das „Konzept“ nach dem die  Kirche eingerichtet wurde, sehr wohl finden,wenn man einen anderen, offeneren Interpretations – Ansatz wählt als es der Autor mit seiner Fixierung auf archivaliche Quellen und Spenerschen Pietismus getan hat .

Es fällt doch auf, dass  über denEinfluss des gräflichen Superintendenten Elwert auf Gestalt und Form des Kirchenumbaus kein Gedanke, keine Spekulation geäussert wird, und der war mit Sicherheit für den Bau und die Ausgestaltung der Kirche wichtiger als der ferne Spener in Ffm.

Es ist zudem  bedauerlich, dass die Baugeschichte nicht intensiver in die Betrachtung einbezogen worden ist. Besonders die Beantwortung der Frage, welchen Bautyp  Kirche hat der Graf zu welchem Bautyp  Kirche umgebaut, wäre für das Erkennen der Kirchenkonzeption wichtig.

 

 

So verharrt der Autor in seinen Schluss-Sätzen in seinen angesammelten Fehlmeinungen und Vorurteilen (S. 341 o):

 

-       Die Unwägbarkeiten der Baugeschichte führten zu bildprogrammatischen Vernebelungen und Verschleierungen.

 

-       Als Grabeskirche angedacht, trat – alsder Plan aufgegeben worden ist – an seine Stelle, etwas was nicht erkennbar ist, außer dass es sich um eine reich bebilderte Decke handelte.

 

-       Das Programm der Decke wurde den bereits vorhandenen Strukturen angepasst, was aber bezüglich der Bibelsprüche  hin und wieder nicht passen wollte.

 

-      Das selbstbewusste Herrschaftsdenken wurde in ein Bildprogramm zur Weltverneinung umgeleitet.

 

-       Die trübselige Gesamtstimmung am Idsteiner Hof und das frühpietistische Gedankengut führten zum Spagat zwischen Lebensüberdruss und Repräsentationsbedürfnis, gespeist aus den Idsteiner Lebensverhältnissen.

 

-      Die Kirchendecke ist der auftrumpfende und verzweifelte Versuch der Selbstdarstellung  einer persönlichen Frömmigkeit, die über …Mangelerscheinungen erhaben ist, und als eigentlicher Gewinn eines Lebens vermarktet wird, weil nichts anderes mehr bleibt. (S: 342,m).

 

 

Vermutlich um seine ausgiebige Beschäftigung mit so einem mediokren Kunstgegenstand  zu exkulpieren schliesst der Autor (S. 343,u) mit einem Dichterwort (Thomas Bernhard): „Das größte und das bedeutendste Kunstwerk liegt uns am Ende doch schwer als ein riesiger Klumpen Gemeinheit im Kopf“ „Aber es bleibt damit dennoch – oder gerade deshalb – eines : bedeutend.“

 

 

Ende

Dr. K.H.Schmidt

28. 2. 2013

 [1]  Belegstellen wurden zitiert nach dem Verzeichnis der Quellen bei Pons, S. 344 ff